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Der Neid eines Fremden

Der Neid eines Fremden

Titel: Der Neid eines Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caroline Graham
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und bemerkte, daß er müde aussah. Das berührte sie nicht im geringsten. Sie fragte sich, wie er reagieren würde, wenn sie ihr Glas absetzen und ihm sagen würde: »Mir liegt nichts mehr an dir.« Oder: »Vor ein paar Stunden habe ich einen Mann geküßt. Wären wir in einem abgeschlossenen Zimmer gewesen, hätte ich mit ihm geschlafen.«
      Leo klang jetzt immer so sachlich, wenn er mit ihr redete. Vielleicht würde er einfach nur antworten: »Na na. Ist schon gut« - und dann ihre Temperatur messen. Sie bemerkte, daß sie sich an dieser Haltung nicht im geringsten störte und mit der Rolle der Patientin überaus gut zurechtkam. Es war die Rolle der Ehefrau, mit der sie Schwierigkeiten hatte.
      Während der Mahlzeit klingelte das Telefon. Rosa schob ihren Stuhl zurück.
      »Ich werde drangehen. Wahrscheinlich geht es um Sonia. Ein Kollege hat sich für mich mit dem Personalbüro in Verbindung gesetzt.«
      »Nein.« Leo schob seinen Stuhl ebenfalls zurück. »Kinder, ihr bleibt sitzen. Laß mich ans Telefon gehen, Rosa.«
      Sie folgte ihm ins Wohnzimmer. »Es ist schon in Ordnung ... die Nummer ist geändert worden.«
      »Trotzdem würde ich lieber drangehen.«
      Obwohl sie einige Meter entfernt stand, konnte Rosa das Zeitzeichen eines Münzfernsprechers hören. Leo sagte nichts. Wer immer es auch sein mochte, begann sofort zu reden. Leo hörte einen Moment zu und legte dann den Hörer auf die Gabel. Rosa beobachtete sein Gesicht.
      »Was hat er gesagt?«
      »Es war eine falsche Verbindung.«
      »Um Himmels willen, Leo! Hör auf, mich wie ein Kind zu behandeln. Das tut verdammt weh.«
      »Ich versuche nur, dich zu beschützen.«
      »Es ist zu spät, um mich zu beschützen.«
      Leo zuckte mit den Schultern. Auf dem Weg zur Küche sagte er: »Es war der übliche Mist. Du willst sicher nicht all die abscheulichen Einzelheiten hören.« Als sie wieder am Tisch saßen, fügte er hinzu: »Wenn wir es noch oft genug hören, wird das Ganze für uns wahrscheinlich bedeutungslos werden. Das passiert manchmal.«
      Rosa stocherte in ihrer Apfelsinencreme und fragte sich, ob er recht hatte. Aber wie oft müßte sie sich ihn noch anhören? Würde sie es ertragen, das Band immer wieder abzuspielen, bis sein Gerede ihr nichts mehr bedeutete? Und würde das die bedrohliche Entschlossenheit, die hinter jedem seiner Worte lag, bannen oder sogar wegzaubern können?
      Natürlich hatte der Mann ihre neue Nummer herausgefunden. Ihr fiel auf, daß sie das nicht einmal erstaunte, aber dann befahl sie sich, vernünftig zu bleiben. Sie war an den Punkt gekommen, an dem sie ihm den Status eines allwissenden und allmächtigen Zauberers einräumte. Er kannte ganz einfach jemanden, der bei der Post arbeitete, oder, was noch wahrscheinlicher war, arbeitete selbst dort. Sicher war er ein pickliger, blutarmer kleiner Angestellter mit Zugang zu den Nummern, die aus Sicherheitsgründen nicht im Telefonbuch aufgelistet waren. Soweit sie wußte, tat er das ständig, rief er alle möglichen Leute an. Davon ging die Polizei zumindest aus. Man hatte sie gefragt, ob sie sich mit anderen berühmten Persönlichkeiten in Verbindung gesetzt hätte. Soweit sie wußten, gab es eine ganze Flut solcher Anrufe. Sie stellte sich vor, bei Esther oder Parky oder Anna Ford anzurufen und zur Antwort zu bekommen: »Oh, er. Der treibt schon seit Wilhelm dem Eroberer sein Unwesen. Wir sind alle schon mal an der Reihe gewesen.« Doch falls sie das nicht sagten, würde sich die Sache nur verschlimmern.
      Guy diskutierte gerade die neuesten Finanzpläne des Vaters seines Freundes Mervyn:
      »... wenn der BMX-Fimmel also nachläßt, was jede Minute zu erwarten ist, werden Skateboards die nächste große Sache sein. Mervyn sagt, ich könnte von ihm eins zum Großhandelspreis bekommen, aber ich müßte mich sofort entscheiden.«
      Leo meinte: »Iß deine Apfelsinencreme auf, Rosa. Laß dir von einem kleinen Scheißer wie ihm nicht den Appetit verderben.«
      Kathy zog selbstgefällig und entzückt die Luft ein: »In der Schule hat man uns verboten, Scheiße zu sagen, Dad.«
      »Natürlich hat man euch das verboten. Darum geht es ja schließlich bei der ganzen Erziehung.«
      »Was meinst du damit?« fragte Guy. »Worum geht es bei der ganzen Erziehung?«
      »Um das rechte Wort zur rechten Zeit am rechten Platz.«
      »Ich sehe nicht ganz, wie Logarithmen in deine Theorie passen sollen, Dad.«
      »Das wirst du

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