Der neue Daniel
Ein paar Zigarren zusammen mit dem Boß im Kontor, und die Sache war gemacht. »Sie sind ein Genie, Sökswert,« sagte er mir. Ich hatte die Pläne, und die anderen bissen sich dieZähne daran aus; aber ich habe doch manches auf die Beine gestellt.«
»Ja,« meinte Erwin, »aber haben Sie nicht dadurch indirekt Ihrem Vaterlande geschadet?«
Zuckschwerdt drehte ihm das Gesicht zu und setzte sich halb auf. »Wollen wir doch nicht so anfangen, Herr Notacker,« meinte er, halb schamhaft, halb überlegen. »Ein aktiver Mensch, was ich bin, kann sich nicht auf die faule Haut legen. Ist ja möglich, daß sie hie und da kleine Vorteile durch mich für ihren Großbetrieb bezogen haben. Aber – (und hier wurde er seltsam bescheiden, schrumpfte fast zusammen und bog die Zehen nach innen) – ich bin ja doch nur eine kleine Nummer, die nicht mitrechnet. Hier ist ja jeder numeriert, und wäre ich nicht gewesen, irgendwie hätten sie schon noch einen Passenden aufgetrieben, wenn's auch schwer gewesen wäre.«
Das Problem war schwer verdaulich. Beide schwiegen.
Erwin war es mit seiner Frage nur halbernst gewesen, denn er war geneigt. Dreiviertel von dem, was der Leutnant verkündete, in Gedanken wegzustreichen. Aber die seltsam verkorkste Moral machte ihm zu schaffen. »Es ist genau so heikel und so widersinnig, wie alles in diesem Kriege,« dachte er bei sich. »Hier sitzt einer, der drüben vielleicht einen netten kleinen Sturmangriff geleitet hätte. Sie hätten ihn vielleicht nach sechs Monaten abgeschossen; aber er wäre ein Rädchen in der anderen Maschine gewesen; und damit mußman ihm recht geben: auf die faule Haut kann sich so ein Mensch nicht legen. Entweder man schlägt ihn tot oder man läßt ihn aktiv sein.«
»Würde Sie ermüden, Herr Notacker,« fuhr Zuckschwerdt fort und legte sich wieder zurück, »wenn ich Ihnen meine weitere Karriere auftischen wollte. Glänzend bezahlte Offerten hat man haufenweise hinter mir hergeworfen. Stehe mich jetzt ganz anständig mit dreihundert im Monat bei der Union-Copper-Company. Bin auf Cincinnati verfallen, weil es hier in Menge Deutsche gibt. Ich habe mir sagen lassen, daß denen so ein bißchen Aufmunterung nichts schadet. Aber das Echte ist auch mit der Lupe zu suchen. Finden hier viele »Fifty-fifty«-Menschen, lauwarme Brüder, die Bier saufen, stramme Monarchisten, und dabei das Sternenbanner feste um die Front geknüpft. Oder Sie finden behagliche verfettete Philister, die nach außen wie deutsche Professoren wirken, innen aber so kümmerlich anglisiert sind, daß sie nicht mal mehr Frakturschrift lesen können. Und da gibt es ein Lokal in der Vinestreet, Engelbrecht heißt der Kunde, das ist »echt deutsch«, wie man so sagt, und da versammeln sie sich und das wäre geradezu köstlich und erfrischend, hat man mir gesagt... Da bin ich hingegangen und fand eine Versammlung von den traurigsten vorsintflutlichen Knackern vor; Leute, die nach achtundvierzig herübergekommen waren, ihre Anschauungen noch von anno 70 hatten und vom alldeutschen Militärgeist und von unseren Bedürfnissen keinen blassenDunst hatten. Quatsch redeten sie, daß es mir grauste. Na, ich habe ihnen denn auch ein Bild vom jetzigen Deutschland vorgelegt, daß sie ganz erschrocken zusammenfuhren, sich an den Kopf griffen und sagten: »Ja, da muß sich aber doch inzwischen verschiedenes verändert haben!« – »Kinder,« rief ich, »wir sind jetzt nicht mehr weltfremde Philister. Die Kleinstädterei hat aufgehört. Wir sind die Zentrale und wir machen jetzt den ganzen Kitt.« – Und dann machte ich ihnen noch was klar über den Drang nach Osten und hieb ihnen Berlin und Bagdad um die Ohren und steckte die halben englischen Kolonien in die Tasche. Da hätten Sie mal sehen sollen, wie sonderbar sie sich benahmen. Die einen fingen an, wässerige Augen zu kriegen, dann gröhlten sie mit Zitterstimmen Burschenschaftsgesänge, und nur ein paar von den ganz Verwaschenen holten sich ihre amerikanischen Fähnchen aus der Westentasche und verließen unter Protest das Lokal. War ja auch toll von mir, drei Monate nach der Kriegserklärung hier so was in Szene zu setzen. Aber der Zuckschwerdt fürchtet weder Tod noch Teufel, und läßt sich nicht das Maul verbinden. Kommt freilich darauf an, wo ich bin. Überall mache ich das nicht.«
Nach dieser Rede schloß der Leutnant befriedigt die Augen und versank ganz in seinem Sonnenbad.
Welch eine Wirkung seine prächtige Erklärung auf Erwin gemacht, darüber holte
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