Der neue Frühling
ihnen leben zu müssen, war für ihn die elendigste Quälerei, die er sich auszudenken vermochte.
Mit eigenen Augen hatte er Hjjk-Leute nur einmal in seinem Leben gesehen, als kleiner Knabe, der unter den Beng in Vengiboneeza heranwuchs, der alten Hauptstadt der Saphiräugigen, in der sich einige Stämme des ‚Volkes’ am Ende des Langen Winters niedergelassen hatten. Doch diese einmalige Erfahrung hatte ihm genügt. Niemals würde er sie vergessen: die hageren, hochragenden Insektenkreaturen, viel größer als jeder ausgewachsene Mann, diese fürchterlichen abstoßenden Fremden. Sie waren in derart gewaltigen Schwärmen herangezogen und hatten Vengiboneeza dermaßen penetriert, daß der gesamte Stamm der Beng, der sich dort nach Jahren der Wanderschaft in den Großweltbauten niedergelassen hatte, schließlich gezwungen war, die Flucht zu ergreifen. Unter gewaltigen Schwierigkeiten, in einer Periode voll Nässe und Stürme hatten sie die endlosen Küstenebenen und die Täler durchquert. Und sie waren schließlich in Dawinno angelangt, in der großen neuen Stadt im Süden, die der Stamm Koshmar, angeführt von Hresh, nach dessen eigenem Auszug aus Vengiboneeza errichtet hatte. Und hier hatten sie Zuflucht gefunden.
Diese beschwerliche Wanderschaft war noch immer tief in seine Erinnerung gebrannt. Er war damals fünf gewesen, seine Schwester, Catiril, ein Jahr jünger.
»Warum müssen wir denn aus Vengiboneeza fort?« hatte er wieder und immer wieder gefragt. Und seine liebsanfte Mutter hatte ihm geduldig stets die gleiche Antwort gegeben:
»Weil die Hjjks beschlossen haben, daß sie die Stadt für sich haben wollen«, hatte Torlyri gesagt.
Und er hatte sich zornig seinem Vater zugewandt: »Aber warum gehst du und deine Freunde dann nicht hin und bringt sie um?«
Und Trei Husathirn antwortete immer gleich: »Das würden wir tun, Junge, wenn wir es könnten. Aber es sind in Vengiboneeza zehnmal mehr Hjjks, als du Haare auf dem Kopf hast. Und da, wo sie herkommen, im Norden, sind noch viel, viel mehr.«
In den endlosen Wochen der Wanderschaft nach Süden, nach Dawinno, war Husathirn Mueri Nacht für Nacht aus furchtbaren Alpträumen aufgeschreckt, in denen die Hjjk angriffen. In der Dunkelheit, im Schlaf, sah er sie über sich stehen, ihre Bürstenklauen bewegten sich, die gewaltigen Kiefermäuler mahlten krachend, die Riesenaugen funkelten von Bösartigkeit.
Das war nun fünfundzwanzig Jahre her. Aber manchmal träumte er auch heute noch von ihnen.
Sie waren eine uralte Art – die einzige von den Sechs Völkern, die in den Tagen der Glückseligkeit vor dem Langen Winter auf der Welt lebten, der es gelungen war, das Äon der qualvollen Finsternis und Kälte zu überdauern. Er empfand ihre Altersüberlegenheit als eine Art Affront, er, der selbst einem so sehr viel jüngeren Erbstamm entsprossen war, einer Linie, deren Vorfahren in den Großwelttagen schlichte – Tiere gewesen waren. Es gemahnte ihn daran, wie brüchig-fragwürdig dieser Suprematsanspruch war, den das VOLK aufzustellen versucht hatte; außerdem machte es ihm auch wieder bewußt, daß das VOLK seine derzeitigen Lebensräume quasi nur bewohnen konnte, weil anscheinend die Hjjk kein Interesse an diesen Regionen zu haben schienen – und weil die übrigen Altpopulationen der Großen Welt – die Saphiräugigen, die Seelords, die Vegetalischen, die Mechanistischen und die Menschhaften – schon seit langem den Schauplatz verlassen hatten.
Die Hjjk dagegen, die sich von dem Langen Winter im Gefolge der Todessterne nicht hatten vertreiben lassen, beherrschten noch immer den größten Teil der Welt. Das Nordland gehörte zur Gänze ihnen, möglicherweise auch ein Großteil des Ostens, obwohl dort immerhin wenigstens fünf Städte von Stämmen des VOLKES gegründet worden waren; Orte, die man allerdings in Dawinno nur dem Namen nach und gerüchteweise kannte. Diese Ansiedlungen – Gharb, Ghajnsielem, Cignoi, Bornigrayal und Thisthissima – lagen in derart weiter Ferne, daß die Verbindung zu ihnen fast ein Ding der Unmöglichkeit war. Alles übrige war von den Hjjk beherrscht. Und sie waren auch das Haupthemmnis für eine weitere Ausbreitung des VOLKES in diesen Tagen konstant wachsender Wärme im Neuen Frühling. Für Husathirn Mueri war das schlicht ‚der Feind’, und das würden die Hjjk für ihn immer bleiben.
Er würde sie, wenn es ihm möglich wäre, allesamt vom Angesicht der Erde hinwegtilgen.
Aber er wußte – wie es auch sein Vater
Weitere Kostenlose Bücher