Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der neue Frühling

Der neue Frühling

Titel: Der neue Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
also die Glitzerklunker«, sagt Hresh.
    Er geht ans andere Ende des Raumes. Mit unsicherer Hand holt er die kleinen Talismane aus ihrem Versteck. Nach all diesen Jahren sind diese Glitzerdinger für ihn noch immer rätselhaft. Thaggoran starb, ehe er noch Hresh in ihrem Gebrauch unterweisen konnte.
    Wahrsagegerät sind sie, soviel weiß Hresh: Naturkristalle, die man tief unter dem Kokon in der Erde gefunden hat. Man kann sie irgendwie benutzen, um das Zweitgesicht zu konzentrieren, und dann erhascht man Einsichten auf Dinge, die mit gewöhnlichen Methoden nicht möglich wären.
    Behutsam legt er die Steine aus, in dem fünfseitigen Muster, an das er sich noch erinnert von jenem Tag im Kokon her, als er heimlich einmal Thaggoran zugeschaut hatte. Jetzt hat er das Gefühl, daß Thaggoran neben ihm steht und ihn behutsam lenkt.
    Die Glimmersteine sind schwarz, glatt und reflektieren wie Spiegel, in deren Tiefen ein kaltes fernes Licht brennt. Dieser Stein, das weiß Hresh noch, wird Vingir genannt; der da ist Nilmir, und die anderen da heißen Dralmir, Hrongnir und Thungvir. Er schaut sie lange unbeirrt an. Dann berührt er sie, einen nach dem anderen. Er spürt, welche Kraft in ihnen verborgen liegt.
    Sagt mir – sagt es mir – sagt es…
    Wärme strömt ihm zu. Es vibriert kitzelnd. Er setzt sein Zweitgesicht ein und spürt, wie die Steine auf irgendeine Weise interaktiv werden.
    »Weiter so«, sagt Thaggoran heiser aus dem Zimmerschatten herüber.
    Sagt mir, sagt mir, sagt es mir…
    Die Steine werden wärmer. Unter seinen Händen beginnen sie zu schwingen, zu pulsen. Angstvoll und bänglich formuliert er die Frage, vor deren Antwort er im Grunde fast zurückschreckt.
    Meine Tochter… Lebt sie noch?
    Und er baut in seinem Bewußtsein das Bild von Nialli Apuilana auf.
    Zeit, ein Augenblick, vergeht. Dann bricht das Abbild von Nialli mit himmlischer Strahlenklarheit hervor. Sie ist von einer leuchtenden Corona aus weißem Licht umgeben. Ihre Augen strahlen hell und klar. Und sie lächelt… Eine Hand streckt sie ihm liebend entgegen. Hresh fühlt ihre Lebendigkeit, den aus der Tiefe heraufquellenden Strom von Energie.
    Also lebt sie?
    Das Bild nähert sich ihm, leuchtend. Die Arme sind ihm entgegengestreckt.
    Ja. Ja. So muß es sein. Sie lebt.
    Ihre Nähe ist fast überwältigend real. Hresh hat das Gefühl, als sei Nialli wahrhaftig hier im gleichen Raum bei ihm und nur auf Armeslänge von ihm entfernt. Ganz gewiß, das ist der Beweis, daß sie lebt, denkt er. Bestimmt. Sicher!
    In dankbarem Staunen blickt er fest auf die Schimmersteine.
    Aber wo ist sie denn?
    Die Steine können es ihm nicht sagen. Ihre Wärme schwindet, das Vibrieren hört auf. Ihr Leuchten im Innern scheint zu flackern. Das Bild Niallis, das er beschworen hat, verdünnt sich. Er blickt zu Thaggoran und zu Noum om Beng, aber die beiden alten Gespenster findet er fast nicht mehr. Sie sehen blaß aus, durchsichtig, substanzlos in der Dunkelheit des Raumes.
    Wild greifen seine Hände nach Vingir und Hrongnis. Er berührt Dralmir, den größten der Schimmersteine, und drückt ihn fest. Er reckt die Fingerspitzen nach Thungvir und Nilmir und fleht die Steine an, ihm zu antworten. Aber er erfährt keine Antwort mehr von ihnen. Sie haben ihm gesagt, was sie ihm an diesem Tag zu verraten gewillt waren.
    Doch – Nialli lebt. Dessen immerhin ist er gewiß.
    »Sie ist zu den Hjjks gegangen, ja?« fragt Hresh. »Warum? Sagt es mir! Warum?«
    »Du hast die Antwort in deiner Hand«, sagt Thaggoran.
    »Ich verstehe nicht. Wie…«
    »Der Barak Dayir, Sohn«, sagt Noum om Beng. »So nimm doch den Barak Dayir!«
    Hresh nickt. Er schaufelt die Schimmersteine in ihr Behältnis; dann holt er aus dem Beutel den anderen, den mächtigeren Talisman, den der Stamm als ‚Wunderstein’ bezeichnet, ein Ding, älter sogar als die Große Welt, das alle fürchten und dessen Gebrauch nur Hresh versteht.
    Auch er hat in den letzten Jahren gelernt, die Macht dieses Steins zu fürchten. Als er ein Knabe war, fand er nichts dabei, mit seiner Hilfe bis an die Grenzen der Wahrnehmung zu fliegen. Aber nicht mehr, vorbei, vorbei. Der Barak Dayir ist jetzt zu stark für ihn geworden. Wann immer er ihn mit seinem Sensor berührt, fühlt er jetzt, wie der Stein ihm seine schwindende Stärke absaugt; und die Visionen, die er dabei erlebt, sind dermaßen bedeutungsgeschwängert, daß er hinterher völlig benommen und verwirrt ist. In jüngerer Zeit hat er den Zauberstein nur noch sehr

Weitere Kostenlose Bücher