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Der neue Frühling

Der neue Frühling

Titel: Der neue Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Tier. Bis sie ihren Kummer überwunden hat.«
    »Geb’s Dawinno, daß du recht hast«, sagte Hresh.
    »Du glaubst das nicht?«
    »Ich habe sie und Kundalimon gesehen, am Tag, ehe sie verschwand. Ich hab mit ihr gesprochen. Ich weiß, wie ihre Gefühle für Kundalimon waren. Und auch die zu den Hjjks.«
    Zornig entgegnete Taniane: »Dann suche du nach ihr auf deine Weise, und ich setze meine Methoden ein. Du bist doch der, der die übernatürlichen Kräfte hat. Wenn du meinst, sie ist zu den Hjjks unterwegs, dann sende ihr doch deinen wunderbaren Verstand hinterdrein, spüre sie auf, und wenn du kannst, überrede sie heimzukommen. Ich werde aber trotzdem meine Stadtwachen weiter nach ihr suchen lassen.« Sie blickte zu Husathirn Mueri, der die Morduntersuchungen leitete, und zu Chevkija Aim, dem neuernannten kommissarischen Wachhauptmann. »Ich wünsche alle vier Stunden einen Bericht, auch nachts. Ist das klar? Das Mädchen ist hier irgendwo in der Nähe. Es kann gar nicht anders sein. Findet sie! Die Geschichte dauert schon viel zu lange!«
    Glatt und geschmeidig wie stets lächelte Husathirn Mueri, als hätte sie nichts weiter verlangt als eine zusätzliche Kopie irgendeines Routineberichtes. Mit seiner volltönendsten Stimme erklärte er: »Edle, ich bin sicher, bis zum Einbruch der Nacht haben wir sie wieder zurück. Oder spätestens morgen. Ich bin da ganz zuversichtlich. Bei allen Göttern, ich bin sicher!«
    Und er ließ den Kopf langsam in einem Halbkreis von einem zum ändern schweifen, als wollte er sie herausfordern, ihm zu widersprechen. Dann erbat er mit schwungvoller Gestik die Erlaubnis, sich zurückziehen zu dürfen, um sich seinen Pflichten zu widmen.
    Taniane nickte Gewährung. Auch für sie war es an der Zeit, sich aus diesem Raum zurückzuziehen. Sie hatte ein Zucken in den Schultern. Sie begriff plötzlich, daß sie an der Grenze ihres Durchhaltevermögens angelangt war und gleich zu einem schluchzenden Häuflein Elend zusammenbrechen würde. Das war neu für sie, diese Art Schwäche. Sie kämpfte mit sich, um nicht die Beherrschung zu verlieren. Es durfte nicht geschehen, daß sie vor all diesen Leuten hier zusammenbrach, die sie so lange Zeit mit allen widersprüchlichen Ambitionen in Schach gehalten hatte: durch schiere Stärke, durch List und – wo es nötig war – durch pure Willenskraft. Und die hatte sie in diesem Augenblick dringend nötig. Aber sie fühlte sich dermaßen schwach - dermaßen entleert von all der Kraft und Stärke, die ihr doch bisher stets zur Verfügung gestanden hatte…
    Dann trat jemand neben sie. Sie hörte mühsames, pfeifendes Atmen. Spürte weiche Arme, warmes mütterliches tröstliches Fleisch.
    Boldirinthe. Die riesenhafte Masse der Opferfrau umfing sie und bot ihr Halt.
    »Komm mit mir«, sagte Boldirinthe freundlich. »Du mußt jetzt ausruhen. Komm! Wir werden zusammen beten. Die Götter wachen über Nialli… Komm, Taniane. Komm jetzt mit mir.«
    Also, ich könnte ja zu Dawinno beten, sagt Hresh zu sich. Aber er bezweifelt, daß das etwas Positives bringen würde. Schließlich hat ja Dawinno ihm seine Nialli Apuilana genommen… Nicht der Dawinno-der-Zerstörer, sondern Dawinno-der-Verwandler, der Gott in Seiner höheren Manifestation. Und Dawinno hat es sich anscheinend in den Kopf gesetzt, daß Nialli bei den Hjjks leben soll. Und darum hat er es überhaupt erst zugelassen, daß sie damals entführt wurde, damit man sie dort mit Liebe zu den Hjjks indoktrinieren konnte. Und jetzt hat der Gott sie wieder zu ihnen zurückgeschickt. Schön, also wenn es Dawinnos Wunsch und Wille ist – so sei ER gepriesen! Wer dürfte sich anmaßen, Ihn und Seine Wege zu erkennen? –, dann nützen aber auch die allerheftigsten massierten Gebete nichts, um sie zurückzubringen! Nein, das Kind wurde ihm fortgenommen, entrissen durch das direkte Eingreifen des Verwandlers, der für Nialli eigene Zwecke verfolgt, die das Begriffsvermögen bloßer Sterblicher übersteigen. Nach einiger Zeit tastet Hreshs Hand nach dem kleinen Amulett, das über seinem Brustbein baumelt. Er hat es vom Körper des alten Thaggoran genommen, nachdem ihn die Rattenwölfe auf der Frostebene getötet hatten, nur wenige Tage nachdem der Stamm sich aus dem Kokon aufgemacht hatte. Wie lang ist das her! Der Talisman ist ein ovales Bruchstück wohl einstmals glatten grünen Glases, allem Anschein nach uralt, und er weist in der Mitte Schriftzeichen auf, die so schwach und dünn sind, daß niemand sie

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