Der neue Frühling
nicht.
Sein schweifendes Bewußtsein sucht nach seiner Tochter. Findet sie nicht.
Hier nicht? Auch hier nicht einmal ist sie?
Also, vielleicht weiter droben im Norden. Das da sind schließlich nur subordinate Königinnen in untergeordneten Nestern… Also, suche anderswo. Dann fühlt er schwer wie von einem Magnetstein die Anziehung der gewaltigen Haupt-Statt, die jenseits davon liegt, des Wohnsitzes der Königin-der-Königinnen, für die diese stumm-trägen gewaltigen Kreaturen hier nichts weiter sind als untergeordnete Bedienerinnen.
Nialli? Nialli?
Und er sucht weiter und weiter. Immer noch kein Anzeichen ihrer Nähe. Und jetzt spürt er, wie sein entkörpertes Bewußtsein sich dem Nest-der-Nester nähert, das am Nordhorizont glüht wie eine zweite Sonne. Es strömt eine bestürzende und unwiderstehliche Wärme von ihm aus… die brünstigmachen- und allesumfassende seelenverschlingende lodernde All-Liebe der Königinder-Königinnen… Und sie ruft ihn, sie zieht ihn in sich hinein.
Aber auch da ist keine Nialli. Ich habe mich selber in die Irre geführt. Sie ist also doch nicht ins NEST zurückgekehrt. Ich bin in die falsche Richtung gezogen. Tausend Meilen weit weg von dem Ort, an dem ich hätte suchen sollen.
Hresh stoppt seinen Flug. Die helle Strahlung über dem Horizont rückt nicht mehr näher. Zeit, daß er umkehrt. Heute ist er so weit gegangen, wie er nur konnte. Die Königin-der-Königinnen ruft ihn, doch er wird dieser Aufforderung nicht folgen. Jedenfalls noch nicht jetzt. Die Versuchung ist gewaltig: Zugang zum NEST zu erhalten, seine Seele mit IHRER zu verschmelzen, mehr darüber zu erfahren und zu begreifen, wie die Welt in diesem gewaltigen Hjjk-Stock sich im Innersten zusammensetzt. Der Hresh der alten Zeiten, der wilde un-bremsbare Hresh immer voller Fragen steckte, hätte nicht einen Moment gezögert. Doch der alte Hresh, der von heute, weiß, daß er auch anderwärts Pflichten und Verantwortung hat. Also kann die Große Königin ruhig noch ein Weilchen auf ihn warten.
Die Wärmestrahlung aus dem Nest brennt sich in Hreshs Fleisch. Die Hitze der Königin-Liebe tobt durch seinen Geist. Doch mit einem gewaltig anstrengenden Ruck zwingt er sich zur Umkehr, kann sich lösen und beginnt die Heimkehr.
Nun flog er wieder südwärts, über das Ödland weg, über das strahlende Vengiboneeza und über Yissou hinaus, über die ausgedorrten Plateaus mit ihren zerbröckelten Ruinenstädten. Dann tauchte das vertraute heimatliche Grün seiner Provinz auf. Er erkennt die Bucht, die Küstenlinie, die vor ihm auf Berge und die weißen Türme der Stadt, die er selber erbaut hat. Er sieht die Dachbrüstung des hohen, schlanken Hauses des Wissens – und er sieht sich selbst, in diesem Haus blinder Auges an seinem Tisch sitzen und mit dem Sensor den Barak Dayir umklammern. Kurz darauf ist er wieder mit sich selber vereint.
»Thaggoran?« rief er und schaute sich um. »Noum om Beng? Seid ihr noch da?«
Nein. Sie sind fort. Und er ist allein mit seiner Verwirrtheit, und er ist ganz umnebelt von der Reise, die er gerade gemacht hat. Irgendwie ist die Nacht verstrichen, während er dahinflog. Goldenes Ostlicht strömt durch seine Kammer.
Und Nialli… Er muß sie finden…
Gewiß ist sie irgendwo in der Nähe, wie Taniane dies schon die ganze Zeit behauptet hatte. Und bestimmt lebt sie noch. In dieser Hinsicht würden ihn die Schimmersteine gewiß nicht getäuscht haben. Der Lebensimpuls, den er ausgemacht hat, war unverkennbar der von Nialli. Doch – wo war sie? Wo? – Zermürbt und müde besah er sich den Barak Dayir und überlegte, ob er die Kraft für eine neue Exkursion aufbringen konnte.
Nein, ich ruh mich erst mal ein wenig aus, sagte er sich. Zehn Minuten, ein halbes Stündchen…
Dann nahm er das Geschrei drunten auf der Straße wahr. Ein Tumult? Ein Überfall? Mühsam raffte Hresh sich auf und trat hinaus an die Dachbrüstung. Drunten rannten die Leute wild herum und riefen einander zu. Was schrien die da? Er hörte es nicht genau, nichts eigentlich…
Ein Windstoß wehte ihm ein paar Wortfetzen herauf: Nialli! Apuilana!
»Was ist denn?« schrie Hresh hinunter. »Was ist passiert?«
Aber seine Stimme trug nicht. Keiner hörte ihn. Angsterfüllt rannte er die endlose Wendeltreppe bis zum untersten Stock hinab und hinaus auf die Straße. Dort klammerte er sich, nach Atem ringend, an die Umzäunung. Die Beine zitterten ihm. Er blickte sich um. Niemand zu sehen. Die da gebrüllt hatten, waren
Weitere Kostenlose Bücher