Der neue Frühling
versorgten sie sich, als alle anderen Lebewesen gezwungen waren, sich in den milderen Süden zu flüchten.
Aber jetzt ist das Eis verschwunden, und das karge, unfruchtbare Land liegt traurig bloß. Hresh schaut auf rote Bergkegel und Tafelplateaus hinab, auf wulstige Vorgebirgsterrassen, die über trostlosen graubraunen Wüsten aufsteigen, in denen kein Grashalm wachsen mag; er blickt auf ausgetrocknete Flußläufe, die von langen Salinenzungen durchzogen sind, und er sieht eine zum Frösteln öde, verlassene Landschaft von abstoßender lebensfeindlicher Dürre.
Und dennoch gibt es hier Leben!
Der Barak Dayir liefert ihm dafür unzweideutige Impulse. Hier, dort – und dort: Unverkennbar die Hauchspur von Leben. Es sind nur vereinzelte Funken und weit voneinander entfernt in dieser erbarmenswürdig erbärmlichen Inferno-Welt, über der Hresh schwebt, aber es sind Lebensfunken von derart hoher Intensität, daß nichts sie wohl ersticken könnte.
Aber es sind die Energiefunken hjjkischen Lebens, keine Spur von etwas andrem, außer Hjjks.
Hresh spürt Insektenseelen in Zweier- und Dreierkombination, oder zu zehn und zwanzig oder etlichen hundert. Kleine Trüppchen (und manche davon gar nicht sooo klein), die über die kargen Nordlandebenen streifen und Aufgaben erfüllen, die ihm nicht einmal der Wunderstein entschlüsseln kann. Diese verstreuten Gruppen ziehen mit einer Entschlossenheit dahin, die eiserner ist als Erz und starrer als Stein. Hresh weiß: Nichts wird sie aufhalten, weder Kälte noch heiße Dürre, noch der Zorn der Götter. Sie könnten Planeten sein, die unbeirrbar ihre Bahnen durch den Himmel ziehen. Und die Kraft, die von ihnen ausgeht, ist furchterregend.
Das sind sie, dachte Hresh, die unmenschlichen, herz- und eingeweidelosen Hjjks, vor denen sich unser VOLK schon seit unvordenklichen Zeiten fürchtete, die unverletzbaren, die erbarmungslosen Insektenwesen aus den Mythen und Fabeln und Bibeln.
Und zu diesen Monstren hat sich seine Tochter geflüchtet, um bei ihnen Nest-Bindung und Königin-Liebe zu finden? Wie war das nur möglich? Was für eine Liebe, welches Erbarmen kann sie denn von diesen Leuten erwarten?
Und doch – dennoch…
Er stellt seine Wahrnehmungen schärfer ein, erweitert und vertieft die Reichweite des Barak Dayir, und zu seiner Bestürzung torkelt er durch das Gitternetz seiner eigenen Vorurteile und stürzt wie ein Taumelstern in einen ganz neuen Bewußtseinsbereich, und wie er zuvor Leben in der Unbelebtheit gesehen hat, so scheint es ihm jetzt, daß er Beseeltheit in dem angeblich Seelenlosen erkennt. Er spürt die Ausstrahlung, die Nähe des Nests.
Vieler Nester – eigentlich. Weithin über das Land verstreute, vorwiegend im Untergrund liegende warme gemütliche Röhrensysteme, die von einem Zentralpunkt radial in ein Dutzend verschiedene Richtungen sich erstrecken, so daß Hresh sich überdeutlich erinnert fühlt an den Kokon, in dem sein eigener Stamm die siebenmal hunderttausend Jahre des Langen Winters überdauert hat. Hier wimmelt es von Hjjks in unzählbaren Mengen, und sie bewegen sich mit eben jener Zielstrebigkeit und hirnlosen Stumpfsinnigkeit, welche dem VOLK ein so großes Entsetzen einflößt. Aber die Zielstrebigkeit ist nicht wirklich seelen- oder sinnlos. Es gibt einen Plan, ein zentrales Organisationsprinzip, einen inneren Zusammenhang; jede dieser Myriaden Geschöpfe bewegt sich in Einklang damit und gemäß der Teilfunktion, die er im Plan erfüllt. Es ist, wie Nialli das damals gesagt hat, als sie vor dem Präsidium sprach: Das ist nicht etwa bloßes Ungeziefer. Ihre Kultur, auch wenn sie uns fremd erscheint, ist eine reiche und vielschichtige – und vielleicht sogar große Kultur.
In jedem Nest schlummert eine Königin, ein gewaltiges traumverlorenes massiges Geschöpf, gewindelt, gewickelt, verpackt und bewacht, und um sie kreist das gesamte hochkomplizierte Leben der Siedlung. Hresh spürt die Nähe der Königinnen nun deutlich und fühlt sich stark in Versuchung, mit seinem Bewußtsein in das einer von ihnen vorzudringen, sich in diese schlafende Ungeheuerlichkeit zu versenken, in ihre kraftvolle Seele einzudringen und sie zu begreifen versuchen. Doch er wagt es nicht. Nein, er hat den Mut nicht. Unsicher zögert er, hält sich zurück, zögert, die durch hohe Jahre und entsprechende Müdigkeit bedingten Besorgnisse beklemmen ihn, und er redet sich ein, daß er ja nicht deswegen hierhergekommnen ist, jedenfalls nicht jetzt, jetzt noch
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