Der neue Frühling
und dann erhellten sich die Augen des Fremdlings, und auf seinem Gesicht zeigte sich sogar der Anflug eines Lächelns, aber dann stießen sie erneut an ihre Begriffsgrenzen, und die trennende Wand wuchs wieder zwischen ihnen auf.
»Kommst du voran?« fragte Husathirn Mueri nach etlicher Zeit.
»Nein. Kein bißchen.«
»Du kannst nicht einmal erraten, was er sagen will? Ode wozu er hergekommen ist?«
»Er ist als eine Art Gesandter gekommen. Soviel scheint mir sicher zu sein.«
»Hast du dafür einen handfesten Hinweis, oder ist es bloße Vermutung?«
»Siehst du die Stücke von Hjjk-Schalen an ihm? Das sind Abzeichen für hohe Autorität«, sagte sie. »Das Stück auf seiner Brust heißt Nest-Schutz und ist aus dem Panzer eines toten Hjjkkriegers gefertigt. Man hätte ihm nie gestattet, es aus dem Nest zu entfernen, es sei denn zum Zeichen, daß er in einer Sondermission unterwegs ist. Es ist gewissermaßen der Häuptlingsmaske bei uns vergleichbar. Der andere Schmuck, der Armreif, war vielleicht das Geschenk seines Nest-Denkers und sollte seine Gedankenkonzentration steigern. Die arme verirrte Seele, es nützt ihm nicht viel, nicht wahr?«
»Nest-Denker?«
»Sein Mentor. Sein Lehrer. Verlang doch nicht, daß ich das alles jetzt erkläre. Für dich sind sie ja sowieso nur Wanzen.«
»Ich sagte dir schon, daß es mir leid tut…«
»Ja, du hast gesagt, es tut dir leid. Jedenfalls, er ist bestimmt mit einer besonderen Botschaft hergekommen, und das bringt nicht bloß das verschwommene, nebulöse Zeug, das uns Heimkehrer berichten, wenn sie überhaupt was sagen. Aber er kann nicht in unserer Sprache sprechen. Er muß seit seinem dritten oder vierten Lebensjahr im Nest gewesen sein, und er kann sich kaum noch an ein Wort unsrer Sprache erinnern.«
Husathirn Mueri strich sich nachdenklich den Backenpelz.
Nach einer Weile fragte er: »Hast du irgendeinen Vorschlag?«
»Nur das Offensichtliche. Laß meinen Vater rufen.«
»Ja, kann denn der Chronist Hjjk sprechen?« fragte Curabayn Bangkea.
»Idiot! Der Chronist hat doch den Wunderstein Barak Dayir!« sagte Husathirn Mueri. »Natürlich! Er braucht ihn nur ganz leicht zu berühren, und alle Rätsel lösen sich!«
Er klatschte in die Hände. Der feiste Gerichtsbüttel erschien.
»Suche Hresh. Und lade ihn vor.« Er blickte sich um. »Ich vertage, bis Hresh erscheint.«
Der Chronist befand sich zu eben dieser Stunde in seinem naturhistorischen Garten, der im westlichen Quadranten der Stadt lag, und überwachte die Ankunft seiner Caviandis.
Vor vielen Jahren hatte Hresh in einer Vision das Vengiboneeze der Großen Welt besucht und dort eine Örtlichkeit mit dem Namen der ‚Lebensbaum’ betreten. Dort hatten die Saphiräugigen allerart wildlebende Geschöpfe gesammelt und sie in Kammern gesteckt, die ein Abbild ihrer natürlichen Lebensumgebung nachahmten. In schrecklicher Scham und Betrübnis hatte Hresh in seinem Traum dort unter den eingesperrten Tieren auch seine eigenen Vorfahren gefunden. Und so hatte er über jeden Zweifel an jenem Tage die Erkenntnis erlangt, daß sein VOLK, das sich einstmals für die Menschen hielt, in keiner Weise etwas so Hocherhabenes war, sondern daß sie in den Tagen der Großen Welt ebenfalls als nichts weiter als Tiere angesehen worden waren, die man einfing und in Käfigen hielt.
Nahezu alle Geschöpfe, die Hresh damals bei seiner Wanderung in die ferne Vergangenheit gesehen hatte, waren während des Langen Winters ausgelöscht worden, und ihre Art war für immer von der Erde verschwunden. Auch der Sammlungsort ‚Lebensbaum’ war längst zu Staub zerfallen. Aber Hresh hatte sich einen eigenen Baum des Lebens gepflanzt, in der Stadt Dawinno über der stillen Meeresbucht: einen labyrinthischen Garten, in dem Geschöpfe aus allen Regionen des Kontinents versammelt wurden, auf daß er sie studieren könne. Er hatte da Kreaturen, die übers Wasser schreiten konnten, Trommlerbäuchlinge, Tänzerhörner und eine große Schar andrer Wesen, denen das VOLK auf seiner Wanderschaft über das Antlitz der Erde nach dem Aufbruch aus dem urelterlichen Kokon begegnet war. Er hatte Exemplare von blauhaarigen Langbein-Stinchitolen, die über ein Hirnverbindungsystem verfügten, das er in seinen Tiefenbereichen noch kaum zu erforschen begonnen hatte. Und Hresh hatte Scharen von kurz- und dickbeinigen rötlichen Dürftlingen. Er hatte die rosa langmäuligen Strickwürmer, die länger waren, als ein Mann groß war, die im dampfenden Schlick
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