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Der neue Frühling

Der neue Frühling

Titel: Der neue Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Knochen – sollte die kurze Zeit zwischen den Verhören dazu benutzen, um sich in sexueller Rage auf sie zu stürzen? Sie fand ihn ganz und gar nicht attraktiv. Doch war es für Husathirn Mueri wohl gar nicht so abwegig, so etwas zu argwöhnen. Was glaubt der denn eigentlich, wer ich bin? fragte sie sich.
    Wütend stapfte sie in dem schmalen keilförmigen Gemach umher, bis sie dessen Ausmaße fünfzigmal bemessen hatte. Sodann ließ sie sich auf einer schwarzen Steinbank unter einer Nische nieder, in der ein Ikon Dawinnos-des-Verwandlers stand, lehnte sich zurück und faltete die Arme über den Brüsten. Sie war jetzt etwas ruhiger. Sog aus ihrem Selbst Geduld herauf. Es konnte schließlich lang dauern, ehe der Gerichtsdiener ihren Vater aufgespürt hatte.
    Als sie allmählich ruhiger wurde, überkam sie mehr und mehr ein traumhaftes Gefühl. Etwas Seltsames hob sich nun in ihr. Visionen schweben durch ihr Gehirn. Das NEST? Ist es das? Ja. Von Atemzug zu Atemzug klarer, als würden dünne Stoffhüllen Schicht um Schicht weggezogen. Alte Erinnerungen erwachen wieder aus langem Schlaf. Was hat sie in Bewegung gesetzt? Der Anblick der Amulette an seiner Brust, an seinem Arm? War es das? Die Nest-Aura, die er mit sich trug und die einzig sie allein zu sehen vermochte?
    Sie hört ein Rauschen, ein Dröhnen in sich. Und dann ist sie dort. In jener Anderwelt, in der sie die merkwürdigsten drei Monde ihres Daseins verbracht hat, und sie ist leibhaftig wieder lebendig für sie.
    Alle umdrängen sie in dem engen Tunnelgang, heißen sie nach der langen Abwesenheit willkommen, fahren ihr sanft mit den Klauen über das Fell, um sie zu grüßen: ein Halbdutzend Wärter der Königin, ein Paar Ei-Macher und ein Nest-Denker, und eine Handvoll Militär. Der scharftrockene Duft, den sie absondern, klirrt in ihren Nüstern. Die Luft ist warm und lastend. Das Licht – ein schwaches rosiges Glühen, das vertraute angenehme Nest-Licht, dünn, aber ausreichend. Sie umarmt alle, einen nach dem anderen, und schmeckt genießerisch die Berührung ihrer zweigetönten Panzer und der schwarzborstigen Vorderarme. Wie schön, wieder bei euch zu sein, sagt sie zu ihnen. Danach habe ich mich gesehnt, seit ich von hier fortging.
    In diesem Moment gibt es am Ende des langen Durchgangs eine Turbulenz: ein Prozessionszug der jungen Männer ist es, und sie schubsen und drängen einander. Sie sind unterwegs in das königliche Gemach, um dort durch die Berührung der Königin zur Zeugungsfähigkeit stimuliert zu werden. Es ist das letzte Stadium in ihrem Reifungsprozeß. Endlich werden sie zur Paarung zugelassen sein, sobald die Königin getan hat, was immer zu tun ist, um die Jugend zur Fruchtbarkeit zu bringen. Nialli Apuilana beneidet diese Jugend darum.
    Aber reif ist ja auch sie selbst. Bereit für die Partnerschaft, bereit für die Erweckung des Lebensfunkens in ihr, bereit, die ihr bestimmte Rolle im Ei-Plan zu spielen. Die Königin muß das wissen. Die Königin weiß alles. Bald, denkt Nialli Apuilana, bald schon, an einem der nächsten Tage, bin ich an der Reihe und darf vor die Königin treten, und Ihre Liebe wird sich über mich ausgießen, und meine Lenden werden üppig und fruchtbar lebendig werden durch Ihre Berührung… und schließlich… am Ende… werde auch ich…
    … auch ich werde…
    »Edle, das Gericht tagt weiter.« Die Stimme sägte durch sie hindurch wie eine stumpfe rostige Klinge.
    Sie öffnete die Augen. Vor ihr stand ein Gerichtsdiener, es war ein anderer als zuvor. Sie funkelte ihn dermaßen wildwütend an, daß es ein Wunder war, wenn ihm nicht der Pelz vom Leib weggesengt wurde. Aber der Kerl stand bloß da und gaffte stupide. »Edle, die wollen, daß du wieder…«
    »Ja. Aber ja doch! Meinst du, ich hab dich nicht verstanden?«
    Hresh schien noch nicht eingetroffen zu sein. Alles war wie vorher, mehr oder weniger. Der Fremde stand genau im Zentrum des Raums, vollkommen bewegungslos, als wäre er seine eigene Statue. Er schien kaum zu atmen. Das war ein Hjjk-Trick. Diese Leute verschwendeten keine Energie. Ohne Grund bewegten sie sich überhaupt nicht.
    Husathirn Mueri hingegen war ständig in Bewegung. Er schlug die Beine übereinander und entflocht sie dann wieder; er rutschte unruhig herum, als würde der Thron unter ihm plötzlich eisigkalt oder glühendheiß; er zuckte mit dem Sensororgan umher, rollte es bald um die Schienbeine, bald krümmte er es hinter sich hoch, so daß die Spitze ihm über die Schulter lugte.

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