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Der neue Frühling

Der neue Frühling

Titel: Der neue Frühling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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erbauten.
    Und genau wie diese Kleininsekten und Waldbodenbewohner hatten auch die Hjjks ein komplexes Gemeinwesen von Kasten und Funktionsspezialisierung entwickelt. Die größten Exemplare – durchwegs Weibchen, wenn auch anscheinend unfruchtbar – waren die Soldaten. Gewöhnlich wagten sie als einzige sich aus dem Nest in die Welt hinaus. Soldatinnen hatten Hresh hier hingeführt.
    Dazu parallel gab es die Kaste der Arbeiter, unfruchtbarer Männchen, deren Aufgaben der Aufbau und die Erweiterung des Nestes und die Wartung der raffinierten Belüftungs- und Heizsysteme waren, durch die es bewohnbar blieb. Sie waren dickleibig und kurz und zeigten kaum etwas von der unheimlichen Grazie der Kämpfer.
    Ferner gab es die für die Fortpflanzung zuständigen Kader, die Eiproduzenten und Lebensentfacher, die sogar noch kleiner und untersetzter waren als die Arbeiter und die kurze Gliedmaßen und stumpfe Rundschädel hatten. Wenn sie reif waren, wurden sie der Königin zugeführt, die sie zu voller Fruchtbarkeit brachte, indem sie sie irgendwie mit einer Substanz durchdrang und erfüllte, die sie selbst ausschied; dies nannte man die ‚Berührung der Königin’. Daraufhin paarten sich die Lebensentfacher und Ei-Produzenten, und aus den befruchteten Eiern schlüpften kleine bleiche Larven. Eine weitere Kaste sogenannter Nahrungspender oder Ammen versorgten und zogen diese Larven in vorgelagerten Höhlen heran. Entsprechend den Befehlen der Königin bestimmten sie sodann, zu welcher Kaste die jungen Hjjks gehören würden und bildeten sie durch Zufuhr der entsprechenden Diät dazu heran. Die Zahl der Kastenangehörigen blieb stets gleich: Wenn das Leben eines hjjkischen Soldaten oder Arbeiters oder Ei-Produzenten oder Lebensentfachers sich dem vorbestimmten Ende näherte, wurde in den Höhlen der Nährammen bereits der Nachfolger herangezogen.
    All dies erfuhr Hresh von den Angehörigen einer wieder ganz anderen Kaste, für die er eine tiefe persönliche Sympathie und Geistesverwandtschaft empfand: die Nest-Denker, die Philosophen und Lehrer im Insektenstaat.
    Ob diese Männchen oder Weibchen waren, das vermochte er nicht zu unterscheiden. Sie waren so lang wie die Soldatinnen, was dafür gesprochen hätte, daß sie weiblich sein müßten, hatten dabei aber die untersetzte Gestalt von Arbeitern, und waren, wo ein Segment ihrer Leiber an das nächste stieß, kaum eingeschnürt, was wiederum auf Männchen hindeutete. Jedenfalls, mit Geschlechtlichkeit und Fortpflanzung schienen sie nichts zu schaffen zu haben. Sie saßen den ganzen Tag in dunklen verschlossenen Kammern, und die Jugend kam dort zu ihnen, um zu lernen. Auch Hresh suchte sie auf und lauschte ernst, als sie ihm erklärten, wie das Nest funktionierte. Er war nie sicher, ob er zweimal mit demselben Nest-Denker sprach. Sie waren für ihn ununterscheidbar. Nach einiger Zeit gewöhnte er sich an, sie allesamt als Einheit, als plurale Individualität zu betrachten – Nest-Denker.
    Nest-Denker erschloß ihm die Geheimnisse des Nests. Nest-Denker zeigte ihm auf, wie jeder Einzelaspekt des Lebens im Nest auf vollkommene Weise mit allen anderen Aspekten koordiniert war. Nest-Denker lehrte ihn die Nest-Wahrheit, erklärte ihm die komplizierten Zusammenhänge von Ei-Plan und Königin-Liebe. Nest-Denker bot ihm Trost und Sicherheit in der Nest-Bindung.
    Und schließlich war es Nest-Denker, der ihn vor die Königin führte. Und da ruhte das allergrößte Geheimnis und Rätsel: die riesengestaltige bewegungsunfähige Monarchin des Stadtstaates, verborgen in einer Kammer tief unter den übrigen Etagen des Baus, schützend umsorgt von der Elitetruppe der Königlichen Leibgardisten, riesenwüchsigen Soldatinnen von unbezwingbarem Kampfesmut, die IHR Lager mit einem undurchdringbaren schützenden Ring umgaben.
    »Die Königin ist unsterblich«, sagte Nest-Denker zu Hresh. »Sie wurde geboren, als die Welt noch jung war, und sie wird leben bis ans Ende der Welt.« Also wirklich, soll man das wörtlich verstehen? Gewiß, die Königin mochte eine enorm hohe Lebenserwartung haben, und vielleicht lebte sie ja tatsächlich dermaßen lange, daß es allen übrigen so vorkommen mußte, als wäre sie zeitlos. Aber – unsterblich?
    Hresh hatte keine Vorstellung mehr, wie lange er bereits in diesem Nest weilte, als man ihn zur Audienz bei der Königin befahl. Zeit besaß hier keine große Bedeutung: Oftmals vergingen ihm seine Tage in traumhaft dämmerigen Meditationszuständen. Er war in

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