Der neunte Buddha - Thriller
Gefolgsleuten zurücklassen? Die alte Frau war ihr wie eine Mutter gewesen.
Sie setzte sich neben sie und legte einen Arm um ihre Schultern. Dann suchten ihre Augen Christopher. Aber derwar bereits bei seinem Sohn, hatte ihn sanft in die Arme genommen und flüsterte ihm tröstende Worte zu. Als sie die beiden so sitzen sah, spürte sie etwas wie Eifersucht in sich aufsteigen, ein Gefühl, das sie bisher nicht kannte. Es beunruhigte sie, wie sehr sie dem Kind den Anspruch auf seinen Vater neidete.
Plötzlich waren draußen Schritte zu hören. Christopher sprang auf. Erschrocken schaute er sich um, wo er William verstecken könnte. Da er seinen Sohn nun einmal wiedergefunden hatte, wollte er lieber sterben, als ihn noch einmal herzugeben.
Die Tür sprang auf, und Tsarong Rinpoche stürmte herein, gefolgt von dem Mönch, der draußen Wache gestanden hatte. Er konnte sein Glück kaum fassen. Plötzlich schoss ihm durch den Kopf, wenn er den Mann und die Frau erledigt und den englischen Jungen in seine Gewalt gebracht hatte, würde er Sam-ja-ting gar nicht mehr brauchen.
»Setzen Sie sich!«, befahl er Christopher.
Der tat einen Schritt auf ihn zu, aber der Rinpoche zog die Pistole und hielt sie drohend in seine Richtung.
»Sie kennen diese Waffe, Wylam-la«, sagte er. »Sie wissen, was sie anrichten kann. Also setzen Sie sich auf diese Truhe dort und verhalten Sie sich ruhig.«
Der Mönch schloss die Tür. Im Luftzug flackerte eine der Butterlampen und ließ merkwürdige Schatten über die Gesichter der beiden Männer huschen.
Christopher konnte nicht stillsitzen. Seit er vom Dach heruntergestiegen war, sah er wieder ein Ziel vor sich. Chindamani hatte ihm etwas wie Hoffnung zurückgegeben, und William ließ diese Hoffnung real und greifbar erscheinen. Er glaubte jetzt wieder daran, dass es möglich sein könnte, zumindest die Mauern dieses Klosters zu verlassen und bis zum Pass zu gelangen.
»Was wird Ihnen das einbringen?«, fragte er Tsarong Rinpoche. »Genug, damit Sie für den Rest der Ewigkeit im Dreck kriechen müssen, denke ich.«
»Ich habe gesagt, Sie sollen sich ruhig verhalten!«, fuhr ihn der Rinpoche an. Er spürte seine Selbstsicherheit schwinden. Es würde nicht leicht werden. Einen von ihnen allein zu töten, wäre ihm nicht schwergefallen. Aber beide zusammen, noch dazu vor den Jungen und der alten Frau …
Plötzlich fuhren alle zusammen. Mit einer schrillen Stimme, die nicht von dieser Welt zu sein schien, hatte Sönam begonnen, Worte herauszuschreien, in denen Christopher eine Art Beschwörung vermutete. Er sah, wie Tsarong Rinpoche aschfahl wurde und die Pistole umkrampfte, als wollte er das Metall mit der nackten Hand zerdrücken. Die Stimme der alten Frau hob und senkte sich, zitterte, wurde wieder fest, und der kleine Raum warf seltsame Echos zurück.
»Hör auf!«, schrie Tsarong Rinpoche. Christopher bemerkte, dass auch der Wächter bleich geworden war und sich zur Tür zurückzog.
»Ama-la, bitte!«, drängte sie Chindamani und packte die alte Frau bei den Schultern. »Hör auf damit!« Aber die winzige Greisin ließ sich nicht beirren. Die Augen fest auf Tsarong Rinpoche gerichtet, fuhr sie mit ihrem Singsang fort und schrie ihre Worte unerbittlich in die Schatten hinein, die über ihm hingen.
»Halt dein Maul!«, brüllte der Rinpoche noch einmal, trat auf die alte Frau zu und fuchtelte mit der Pistole herum. Er blickte jetzt wie wild um sich. Christopher konnte sehen, dass ihn ein abergläubisches Grauen erfasst hatte. Dabei verstand er kein Wort von dem, was die alte Amme da herausschrie. Er vermutete, dass es eine Art Fluch war, den Tsarong Rinpoche sehr ernst nahm.
»Bitte, Sönam, tu das nicht!«, flehte Chindamani wieder.Samdup saß wie angenagelt da, seine Augen hingen an der Alten, er sah entsetzt und zugleich fasziniert, wie sich die hutzlige kleine Gestalt im Rhythmus der Strophen, die ihrem Munde entströmten, hin- und herwiegte.
»Bringt sie zum Schweigen!«, schrie der Rinpoche jetzt auf. »Oder ich leg sie um! Ich schwöre, ich töte sie, wenn sie nicht aufhört!«
»Es ist gut, Ama-la«, sagte Chindamani sanft. Sie hatte das Entsetzen in Tsarong Rinpoches Stimme gehört und wusste, er würde Sönam erschießen, wenn sie in ihrer Beschwörung fortfuhr. Sie kannte den Grund für seine Bestürzung.
Aber die alte Frau war nicht aufzuhalten. Sie spie die düsteren Worte der Verwünschung aus, als seien sie Gift und könnten töten. Vielleicht glaubte sie das
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