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Der neunte Buddha - Thriller

Der neunte Buddha - Thriller

Titel: Der neunte Buddha - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Wahl hätten, dann würde ich Ungern-Sternbergviel lieber in der Hölle sehen, als mich mit ihm zu verbünden. Aber er oder Samjatin – darum geht es jetzt.«
    Er verstummte. Etwas hielt ihn davon ab, mehr von dem zu erzählen, was er gesehen hatte.
    »Ich bin erst später dorthin gereist«, sagte er. »Nachdem ich Semjonow aufgesucht hatte, begab ich mich zu Ungern-Sternberg nach Daurien. Das hatte Semjonow mir empfohlen. Er dachte, der Mann würde mich beeindrucken. Ich weiß nicht, was er sich vorgestellt hat. Die verstehen uns nicht. Das ist bis heute so geblieben.
    Ich kam an einem späten Nachmittag an. Die Sonne ging gerade unter. Wir rollten über einen engen Kreis von Sandhügeln in eine Ebene hinein. Dort war kaum Leben zu entdecken, soweit wir sehen konnten. Kein Grashalm, keine Bewegung, nur ein Haufen schmutziger Hütten wie eine Leprakolonie mitten im Nichts. Niemals wieder habe ich so das Gefühl für Ort, Zeit und Grenzen verloren. Es war, als befänden wir uns im Nirgendwo, mitten in einer großen Leere.
    Sie hatten dort eine kleine russische Kirche mit einem Turm, die eher im westlichen als im byzantinischen Stil errichtet war. Vielleicht war sie einmal ganz hübsch gewesen, aber inzwischen hatte sie Dachziegel, Farbe … und noch etwas verloren. Was eine Kirche erst zur Kirche macht. Wie soll ich das erklären? Mitten in dieser Ebene lag Ungerns Hauptquartier. Eine kleine Festung aus rotem Backstein. Als ich sie zum ersten Mal aus der Ferne sah, musste ich an ein Schlachthaus denken, das von oben bis unten mit Blut gefärbt war. Und über dem Ganzen blies ständig ein hässlicher Wind.«
    Er verstummte. Vielleicht sah er die roten Mauern von Daurien wieder vor sich und hörte den Wind über die Ebene pfeifen. Draußen zogen die Dünen der Wüste vorbei – diffus und verblichen, eine wasserlose Fata Morgana, die im Licht der sinkenden Sonne flimmerte.
    »Dort bin ich Ungern-Sternberg zum ersten Mal begegnet. Ich werde es nie vergessen. Wie er mich anblickte, als ich eintrat …, wie er mich erwartete.«
    Ihn schauderte.
    »Unter normalen Umständen würde ich einem Mann, der mich so anschaut, eins in die Fresse geben. Das tat ich natürlich nicht. Ich starrte zurück, aber … Sie werden ihn ja bald selber kennenlernen. Seien Sie bei ihm stets auf der Hut. Seine Laune kann in Sekundenschnelle von größter Liebenswürdigkeit in sadistische Wut umschlagen. Das habe ich selbst erlebt.
    Er hat stets eine Art Reitgerte aus Bambus bei sich. Sie ist dünn und elastisch, hat aber scharfe Kanten. Einer seiner Stabsoffiziere trat ein. Ein junger Mann, wahrscheinlich erst kürzlich von der Militärakademie abgegangen, aber schon von den Ausschweifungen gezeichnet. Ich hatte ihn bereits in Tschita gesehen. Er meldete etwas, das Ungern-Sternberg offenbar nicht gefiel. Der Baron geriet in Wut und versetzte ihm mit seiner Gerte einen Hieb ins Gesicht. Die Wange platzte sofort bis zum Knochen auf. Der junge Mann fiel fast in Ohnmacht, aber Ungern-Sternberg befahl ihm, stehenzubleiben und seine Meldung zu beenden. Es schüttelte ihn vor Wut. Kaum war der Junge draußen, sprach er weiter mit mir, als ob nichts geschehen wäre.«
    Winterpole schaute durch das linke Fenster. Im Westen ging gerade die Sonne blutrot in einem Sandschleier unter. Hinter ihnen sank eine riesige Staubwolke auf die Wüste nieder.
    »Ein zweites Vorkommnis ist mir im Gedächtnis geblieben«, fuhr Winterpole fort. »Ein alter Mann, ein Jude, wurde gebracht. Sein Sohn war am Tag zuvor auf Ungern-Sternbergs Befehl exekutiert worden. Ziemlich grundlos, wie ich feststellte. Der Alte war gekommen, weil er um den Leichnamseines Sohnes bitten wollte. Das war alles. Er wollte ihn nach jüdischer Sitte begraben und ihn nicht von den Hunden zerreißen lassen, wie das in jener Gegend üblich war. Er beklagte sich nicht. Er äußerte keinerlei Vorwurf. Ob es nun an seinem Gesicht oder seinem Auftreten lag, oder weil er Jude war, jedenfalls bekam der Baron wieder einen seiner Wutanfälle.
    Ungern-Sternberg rief zwei seiner Gefolgsleute herbei, die den alten Mann hinausführten. Mich nahm er mit, damit ich sehen sollte, wie er Verräter bestrafte. Ich musste wohl oder übel gehorchen. Ausländer zu sein, war keine Sicherheitsgarantie.
    Sie packten den alten Mann und stellten ihn in eine hohe Holzkiste. An einer Seite war ein Loch, durch das der Mann einen Arm stecken musste. Draußen herrschte strenger Frost. Wir trugen alle Pelzmäntel, und trotzdem war

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