Der neunte Buddha - Thriller
Handelsdelegation hat bereits eine ständige Vertretung in London. Der nächste Schritt wird die diplomatische Anerkennung sein. Und davon wollen Sie nichts gewusst haben?«
»Ich bin lange vorher aus London abgereist. Mich hat niemand darüber informiert. Da muss ein Fehler passiert sein.«
»Das ist kein Fehler. Sie sind doch einer der Männer, die für den Tod von General Resuchin und sieben seiner Soldaten vor fünf Tagen Verantwortung tragen? Hatte der General Sie nicht verhaftet, weil Sie die Hinrichtung bolschewistischer Eindringlinge ausspioniert haben?«
Winterpole versuchte aufzustehen, aber die Beine versagten ihm den Dienst. Er spürte Sepailows schwere Hände auf seinen Schultern, die ihn niederdrückten. Er knickte ein. In ein paar Minuten würde es um ihn geschehen sein.
Ungern-Sternberg kam hinter seinem Schreibtisch hervor.
»Beeilen Sie sich, Oberst. Ich will, dass der Junge um Mitternacht nicht mehr am Leben ist.«
Er trat zur Tür und ging hinaus. Sepailow legte eine Hand um Winterpoles Kehle.
»Entspannen Sie sich, Major«, flüsterte er. »Wenn Sie keinen Widerstand leisten, tut es gar nicht weh.«
58
Manchmal wirkte das Ticken der Uhren beruhigend auf ihn. Dann wieder ging es ihm auf die Nerven, und er flüchtete sich in ruhigere Gemächer seines Palastes, wo die Zeit stillzustehen schien. Heute bereitete es ihm weder Freude noch Missvergnügen. Er stellte fest, dass er in die Jahre kam. Er war einundfünfzig, fühlte sich aber wesentlich älter und hinfälliger.
Morgen musste er wieder für die Menge, die sich schon in der Nacht draußen versammelte, den Gott spielen und den Festtagssegen spenden. Eine lange Kordel aus roter Seide führte durch den Palast bis zur Umfriedungsmauer und auf die Straße hinaus. Den ganzen Vormittag würde er auf seinem Thron sitzen und die Kordel in der Hand halten müssen, während Pilger sich draußen in Schmutz und Unrat drängten, um das andere Ende zu berühren. Sie glaubten, dass ein Segen von ihm durch die Kordel zu ihnen strömen, die Sünden von ihnen nehmen und sie von dem schlechten Karma befreien werde, das sie auf sich geladen hatten. Es war eine Farce, aber er musste sie mitspielen.
Seit sieben Jahren war er nun schon blind. Die Ärzte hatten ihm gesagt, das komme vom vielen Trinken. Aber davon ließ er sich nicht beirren und sprach weiter dem Alkohol zu. Der tröstete ihn zumindest ein wenig über seine Blindheit hinweg. Er liebte Maygolo , einen süßen Anisschnaps, den chinesische Händler in kleinen runden Flaschen verkauften. Er mochte auch französischen Kognak, den er von Ungern-Sternberg bezog, wenn eine Lieferung bis zu diesem durchdrang, was nicht oft geschah. Sein Lieblingsgetränk allerdings war der Boro-darasu , den man ihm aus Peking schickte. Wenn er den trank, dann sah er zumindest einen blassen Lichtschein in der ewigen Finsternis.
Blind zu sein, störte ihn sehr. Denn nun konnte er all die schönen Dinge nicht mehr genießen, die er in langen Jahren gesammelt hatte. Die Welt war ein so schöner Ort, dachte er bei sich, und er hatte so wenig davon gesehen. Sein Leben lang in Klöstern und Palästen eingeschlossen, konnte er nicht in die Welt gehen. So hatte er sie eben zu sich geholt.
Seine Sekretäre schliefen bereits. Seine Frau amüsierte sich mit einem neuen Liebhaber in ihrem eigenen Palast außerhalb der Mauern von Ta Chure. Der würde ihre Brüste mit Öl und ihre Schenkel mit Sandelholzessenz netzen. Die Mönche, die ihn bedienten, beteten, um sich auf das Fest vorzubereiten. Einsam und allein streifte er durch die stillen Räume und Korridore seiner Residenz und betastete traurig seine Vergangenheit.
Es war alles da: Teller auf Teller seines Sèvres-Porzellans, von denen er nie gegessen hatte, weshalb sie fein eingestaubt waren; Klaviere, die zu spielen er nie gelernt hatte, inzwischen verstimmt und voller Risse; Uhren aller Art, deren Zeiger auf unterschiedlichste Zeiten gestellt waren; Alben, mit Elfenbeinund Malachit, mit Perlmutt und Silber, mit Onyxen, Achaten und Jade belegt, in feines russisches Leder, blauen, roten oder lilafarbenen Samt gebunden. Darin die vergilbten Fotografien von Toten und Lebenden. Flaschenständer, Champagneröffner, Kerzenhalter aus Gold, Silber und Glas, die seit Jahren keine Kerze mehr gesehen hatten; Zigarrenetuis, Kartenetuis und Brillenetuis aus Schildpatt, Gold- und Silberdraht; Fernrohre, durch die er einst die Sterne beobachtet hatte und die seitdem verstaubten. Träume
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