Der neunte Buddha - Thriller
sie Christopher mit Berichten von ihren eigenen Leiden, von denen, die ihren Gatten,die unglücklichen Waisen von Kalimpong und schließlich den ganzen Subkontinent heimsuchten.
Christopher blieb nichts anderes übrig, als sich das Dessert, einen abscheulichen gelben Vanillepudding mit Stückchen eines undefinierbaren Etwas darin, hineinzuzwingen, während sie in allen Einzelheiten einen Fall von Nasenkrebs schilderte, dessen Opfer sie kürzlich im Krankenhaus besucht hatte.
»Das mag ja alles gut sein«, unterbrach sie ihr Gatte schließlich. »Aber wir dürfen unseren Gast nicht glauben machen, dass unsere Sorge vor allem den körperlichen Beschwerden dieser Unglücklichen gilt. Das überlassen wir jenen, die dafür Neigung verspüren. Doch ich versichere Ihnen, Christopher – ich darf Sie doch Christopher nennen? –, wie schrecklich die Erkrankungen auch sein mögen, die das Fleisch Indiens befallen, so sind sie doch nichts gegen die Übel, die seinen Geist quälen. Der Böse ist in diesem Land am Werk und zerrt diese elenden Menschen Generation um Generation zur Hölle hinab. Wir tun alles, was in unseren schwachen Kräfte steht, aber es ist eine mühselige Aufgabe.«
Nun war er an der Reihe, die Schrecken Indiens und dessen götzendienerischen Glaubens in allen Farben zu schildern. Die Hindus waren verdammt wegen ihrer Verehrung so zahlreicher Götter, die Muslime dafür, dass sie zu dem falschen Gott beteten. Die Yogas waren Scharlatane und die Sufis Fälscher, denn grundsätzlich konnte es keine Art von Spiritualität ohne die Anwesenheit von Gott geben. Gott aber war für John Carpenter ein weißhäutiger Presbyterianer. Christopher kam zu dem Schluss, dass es keinen Sinn hatte, dem zu widersprechen. Er war selbst zu wenig gläubig, um den Glauben anderer zu verteidigen.
Er brauchte jedoch fast bis zum Ende des Abends, um zu begreifen, dass der Mann ein ausgeklügeltes Spiel mit ihmtrieb. Er war kein Narr mit antiquierten, grotesken Ideen von der Ausübung des Glaubens und auch kein beschränkter Eiferer, der von einer persönlichen fixen Idee schwafelte, sondern ein ausgebuffter Schauspieler.
Der Moment am Vormittag fiel ihm wieder ein, als Carpenter die Brille abgenommen und ihm für einen kurzen Moment sein wahres Gesicht gezeigt hatte. Jetzt, da der Missionar und seine Frau sich ohne Ende über körperliche Gebrechen und moralische Verderbtheit ergingen, erhaschte er von Zeit zu Zeit einen lauernden Ausdruck in Carpenters Miene. Ob das Ironie, Spott oder einfach nur Bosheit war, konnte er noch nicht sagen.
»Erzählen Sie uns doch, Christopher«, bat er, als sie nach der Mahlzeit dünnen Tee tranken, »wie oft sind Sie schon in Kalimpong gewesen?«
»Als Kind war ich häufig hier. Mein Vater hatte in der Nähe zu tun.«
»War er Geschäftsmann wie Sie?«
»Ja, er hat … mit Tee gehandelt.«
Der Missionar schaute ihn über seine Tasse hinweg an.
»Und Sie? Womit handeln Sie?«
»Mit verschiedenen Sachen. Ich habe in meinem Leben schon vieles ausprobiert.«
»Aber Sie machen einen gebildeten Eindruck. Eher wie ein Mann, der in der Verwaltung oder in der Politik Karriere machen könnte. Nicht wie ein kleiner Händler. Bitte nehmen Sie mir nicht übel, wenn ich das sage.«
»Das geht schon in Ordnung. Ich bin auf eigenen Entschluss in die Wirtschaft gegangen. Eine andere Laufbahn hätte vielleicht besser zu mir gepasst. Meine Geschäfte gehen in der letzten Zeit nicht gerade glänzend.«
»Und jetzt leben Sie in England?«
Carpenter nahm ihn ins Verhör – dezent aber gründlich.
»Ja. Meine Frau und mein Sohn sind bei Kriegsausbruch nach England zurückgegangen. Ich bin ihnen erst letztes Jahr gefolgt, aber Elizabeth ist bald darauf gestorben. Ich wollte mit William in England bleiben.«
»Aha. Und was haben Sie während des Krieges gemacht? Sie waren in Indien, nehme ich an.«
»Ich war Lieferant für die Armee. Getreide, Viehfutter, Reis – alles, was notwendig war. Zum ersten Mal habe ich recht gut verdient. Aber nicht genug.«
»Und wer kann Sie so hassen, um Ihnen Ihr Kind zu rauben? Haben Sie einen Verdacht? Warum sind Sie gerade nach Indien gekommen, um Ihren Sohn zu suchen? Warum nach Kalimpong?«
Christopher spürte, dass Carpenter ihn nicht aus Neugier so eingehend befragte. Den Missionar ängstigte etwas. Er glaubte Christophers Legende nicht. Aber da war noch mehr. Er wusste etwas und wollte herausfinden, was Christopher wusste.
»Man hat mir geraten, nicht darüber zu
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