Der neunte Buddha - Thriller
allem war es Tsampa, dann Butter, etwas Tee, Streifen von getrocknetem Rindfleisch und Salz. Außerdem hatte ihm Christopher eine Liste von Dingen gegeben, deren Zweck Lhaten sich nicht erklären konnte: ein Fläschchen dunkler Haarfarbe, Jod, Walnusssaft, ein paar Zitronen und eine Flasche Klebstoff. Auch etwas Geld hatte er getauscht. Für eine Rupie bekam er fünf tibetische Trangkas . Auf eigene Faust wechselte der Junge ein paar Trangkas in kleinere Kupfermünzen ein. Nur ein sehr reicher Mann oder ein Pee-ling, ein Ausländer, konnte so viele Silber- Trangkas bei sich tragen. Er glaubte nicht, dass sein neuer Freund für den einen oder den anderen gehalten werden wollte.
Vom Postamt in der Prince Albert Street schickte Lhaten ein Telegramm an Winterpole ab: »Nachricht von Onkel William. Komplikationen hier machen es unmöglich, bei Tante zu bleiben. Freunde raten zu Camping in den Bergen. Werde im nächsten Monat nicht erreichbar sein.« Eine ausführlichereversiegelte Nachricht hinterlegte Lhaten in der britischen Handelsvertretung. Von dort sollte Frazer sie auf sicherem Wege nach London übermitteln. Darin erfuhr die Familie zu Hause, wie es Christopher im fernen Indien ging. Winterpole wurde gebeten, bei der Kriminalpolizei in Delhi Ermittlungen gegen Carpenter und die Knox Homes zu erwirken.
Vor dem Aufbruch veränderte Christopher sein Äußeres. Vor Kälte zitternd, zog er sich splitternackt aus und bestrich sich von Kopf bis Fuß mit einer Mixtur aus Walnusssaft und Jod. Als die Flüssigkeit eingetrocknet war, schlüpfte er in die dicken Sachen, die für die Reise notwendig waren. Darüber drapierte er verschiedene übelriechende, vielfach geflickte Lumpen, die Lhaten an unsäglichen Orten aufgelesen hatte. Wo, wollte Christopher lieber nicht wissen. Die Haarfarbe machte ihrem Namen alle Ehre: »Phataks weltberühmtes Mittel, um Haupthaar zu färben und wiederherzustellen. Wirksam gegen Ergrauen, Kahlköpfigkeit und Kopfjucken«. Christopher behielt genügend von dem Mittel in der Flasche zurück, um die Farbe jede Woche auffrischen zu können. Wenn er dann überhaupt noch Haare auf dem Kopf hatte. Die letzte Prozedur war die schwierigste: Er träufelte sich ein paar Tropfen Zitronensaft in die Augen. Es brannte höllisch. Aber als er die Augen wieder öffnen und in den Spiegel schauen konnte, sah er, dass das Blau der Iris weitgehend verschwunden war und ihre dunkle Farbe perfekt zu Haut und Haar passte.
In dieser Nacht schritten sie kräftig aus, um am Morgen Kalimpong möglichst weit hinter sich gelassen zu haben. Ihr erstes Ziel war Namchi, etwa elf Kilometer in nordwestlicher Richtung. In der Dunkelheit überquerten sie die Grenze zwischen Britisch-Indien und Sikkim, ohne Markierungen zu bemerken. Christopher wusste, dass sie damit mehr als eineStaatsgrenze überschritten hatten. Vor ihnen lagen die Berge, unübersehbar und ständig in ihren Gedanken präsent.
Durch Namchi zogen sie kurz nach Mitternacht. Es war eine Ansammlung von Bambushütten, die, unbewacht, in tiefem Schlaf lagen. Christopher konnte sich nicht erklären, wie Lhaten in der Finsternis den Weg fand. Der stieg unablässig an, wand sich durch dampfende Wiesen und Wald. Der Wald sollte immer dichter werden, bevor sie die Baumgrenze ereichten und sich den Pässen näherten.
Auf Lhatens Rat schlugen sie etwa fünf Kilometer nach Namchi ihr erstes Lager auf. Christopher war gar kein bisschen schläfrig und wollte weitergehen, aber Lhaten bestand auf einer Rast.
»Wenn wir nicht ein wenig rasten, sind Sie morgen müde. Wir haben noch weit zu gehen, bevor wir die Dörfer hinter uns lassen. Wenn Sie nicht schlafen können, dann ruhen Sie wenigstens ein bisschen. Ich werde eine Mütze Schlaf nehmen. Ich hatte einen langen Tag … Und ich weiß, was uns bevorsteht.«
Seit sie Kalimpong verlassen hatten, war der Junge wie ausgewechselt. Dort war er unterwürfig, fast servil gewesen, hatte Christopher ständig Sahib genannt und sich in jeder Hinsicht verhalten, wie es von ihm als Angehörigem einer niederen Rasse gegenüber seinem Herrn erwartet wurde. Je weiter sie sich jedoch von der Stadt entfernten, desto mehr erwachte in ihm ein natürliches Selbstbewusstsein. Das Wort Sahib benutzte er jetzt viel seltener und mit einem Unterton, aus dem Ironie, zuweilen aber auch wachsende Zuneigung klang. Noch immer fragte sich Christopher, weshalb der Junge sich bereitgefunden hatte, einem Mordverdächtigen als Führer zu dienen. Bald musste
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