Der neunte Buddha - Thriller
gerade beendet. Sie gingen durch ein kleines rotes Tor, aber die Mönche saßen noch im Lha-kang beim Tee, bevor sie ihre Andacht wieder aufnahmen. Ein kleiner dicker Mönch, wahrscheinlich eine Art Verwalter, nahm die Reisenden in Empfang. Die beiden Trapas murmelten einen Gruß und trabten sofort in einen schwach erleuchteten Gang hinein wie Kaninchen, die in ihrem Bau verschwinden. Der Lama trat durch eine Tür zur Linken und schloss sie hinter sich ohne ein Wort. Christopher wurde durch einen Gang in anderer Richtung geführt. Ranzige Butterlampen verbreiteten ein gelbliches, fast schwefelfarbenes Licht. Nach der langen Zeit in der frischen, dünnen Luft der Berge empfand Christopher den Geruch von alter Dri -Butter und menschlichen Ausdünstungen, der das ganze Gebäude durchdrang, als besonders unangenehm.
Der Verwalter führte Christopher in einen kleinen Raum im ersten Stock und fragte ihn, ob er etwas essen wolle.
»Nein, danke«, antwortete der. »Ich möchte nur schlafen. Ich bin sehr müde.«
Der Mönch nickte, zog sich zurück und schloss die Tür von außen. An einer Wand stand eine niedrige Pritsche. Ohne sich im Raum auch nur umzusehen, ließ sich Christopher darauf fallen. Das Letzte, woran er dachte, bevor der Schlaf ihn übermannte, war Lhatens Antwort auf seine Frage, ob er jemals etwas vom Dorje-la gehört habe.
Ich denke, es ist Zeit zu schlafen, Sahib.
Das war es in der Tat.Als Christopher erwachte, konnte er nicht sagen, wie viel Zeit vergangen war. Die Butterlampe, die sein Begleiter zurückgelassen hatte, brannte ruhig auf einem Tischchen neben der Tür, aber sie war nicht mehr so gefüllt wie am Anfang. Der Luxus eines Bettes und der tiefe Schlaf hatten Christophers Erschöpfung eher noch verstärkt. Jedes Gelenk und jeder Muskel tat ihm weh. So zwischen Wachen und Schlafen hätte er ewig liegenbleiben können.
Von weit her hörte er Stimmen, viele Stimmen, die eine getragene, steigende und fallende Melodie intonierten. Ob sie Freude oder Trauer ausdrücken sollte, konnte er nicht sagen. Der Gesang wurde von mehreren Instrumenten begleitet. Eine große Trommel gab einen langsamen, stetigen Rhythmus vor, ein Muschelhorn umspielte die tiefen Töne einer Schalmei, von Zeit zu Zeit fielen kleine Zimbeln mit blechernen Klängen ein. Christopher erkannte auch die gespannten, nervösen Töne einer Damaru, der kleinen Handtrommel, die aus Schädeldecken von Menschen gefertigt wird und bei Tantra-Zeremonien zum Einsatz kommt.
Während er so im Dunkeln lag und das Murmeln der Gebete der Mönche an sein Ohr drang, dämmerte Christopher allmählich, in welcher Lage er sich befand. Bisher verstand er das Ganze kaum. Obwohl viele Dinge miteinander verbunden zu sein schienen, konnte er die Logik des Zusammenhangs noch nicht durchschauen, was ihn schwer bedrückte. In einem war er sich allerdings ganz sicher: Sein Sohn William weilte in diesen Mauern. Welcher Wahnsinn auch immer hinter all dem stecken mochte, das allein zählte für ihn.
Plötzlich verstummten Musik und Gesang, und im Kloster wurde es still. Nichts regte sich.
Christopher schaute sich in dem Raum um. Ein Luftzug vom Fenster ließ die Flamme seiner Lampe flackern, und gespenstische kleine Schatten huschten über die Wände. Überdem Bett hing ein großes Thangka, ein Rollbild, auf dem Buddha, umgeben von acht indischen Heiligen, dargestellt war. An der Wand gegenüber hatte man auf einer alten Lacktruhe, die mit Bildern von Lotosblüten und verschiedenen religiösen Symbolen geschmückt war, einen kleinen Altar aufgebaut. An der Wand darüber hing eine Holzvitrine mit Glastüren, in der Bilder des großen buddhistischen Gelehrten Tsongchapa und zweier seiner Schüler zu sehen waren. Beim Fenster stand ein kleiner Tisch mit Stuhl. Ein schmales hölzernes Regal darüber enthielt Bände mit religiösen Texten.
Christopher stand auf und trat zum Fenster. Da diese in tibetischen Klöstern in der Regel nicht verglast sind, hält man die schweren hölzernen Fensterläden den Winter über ständig geschlossen. Er fand den Riegel und öffnete eine Seite. Draußen war es Nacht. Ein scharfer Wind hatte die Wolken beiseitegefegt, und das Stückchen schwarzen Himmels zwischen drei fernen Bergspitzen war von unzähligen Sternen übersät. Von irgendwoher außerhalb Christophers Blickfeld floß Mondlicht wie Zuckerguss über den vereisten Pass.
Erschauernd vor Kälte, schloss er den Laden wieder und setzte sich auf den Stuhl. Jetzt verspürte
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