Der neunte Ton: Gedanken eines Getriebenen (German Edition)
Schicksalsschlägen gezeichnet. Seine erste Frau nahm sich das Leben, sein Sohn Fabian starb im Alter von zwei Jahren nach einer schweren Krankheit. Ich bewundere Otmar Alt für seine Kraft, diese Lebenseinschnitte zu bewältigen. Eigentlich müssten seine Bilder düster sein, gezeichnet von Trauer und Pessimismus. Aber Otmar Alt ist ein Kraftwerk an Energie. »Das Leben ist ein Versuch«, sagt er mir immer, »und wir müssen versuchen, der Welt Schönes zu hinterlassen.« Gern bin ich bei ihm und seiner jetzigen Frau Gundi zu Gast. Jeder Besuch in seinem Atelier ist wie das Eintauchen in eine andere Welt. Ich kenne die langen Tage in Tonstudios. Wenn ich zu Otmar komme, muss ich oft daran denken – auch wenn sich das Atelier äußerlich vom Tonstudio unterscheidet: Farbkleckse auf dem Boden, Dutzende Pinsel, halb fertige Werke an den Wänden. Leise dudelt Jazzmusik im Hintergrund. Otmar Alt ist ein Jazzer, hat früher selbst hervorragend Klarinette gespielt. Er hat ein besonderes Gespür für Kunst und für Menschen. Aber Otmar Alt ist auch jemand, der immer ansprechbar ist, wenn es um die Aktivitäten unserer Stiftung geht. Er will diese Welt menschlicher gestalten.
Hans Dietrich Genscher gehört für mich zu den großen Europäern unserer Zeit. Ich bin dankbar, dass ich ihm mehrfach begegnen durfte. Er ist einer der Architekten der Wiedervereinigung, ein Zeitzeuge. Vor wenigen Monaten habe ich in Dortmund an einer Diskussion teilnehmen können, zu der auch Hans Dietrich Genscher geladen war. Wir sprachen über die Themenbereiche Freiheit und Verantwortung. Es hat mich fasziniert, ihm zuzuhören. In wenigen Sätzen hat er ein Plädoyer für die Zukunft Europas formuliert, eine Aufforderung an die jungen Menschen im Saal. Hans Dietrich Genscher kennt den Wert der Freiheit. Geboren in Halle an der Saale durchlebte er zwei Diktaturen, bevor er als langjähriger Bundesminister die Außenpolitik Deutschlands prägte. Auch in Rumänien ist das Ansehen von Hans Dietrich Genscher sehr hoch. Die Menschen wissen, dass sie ihm viel zu verdanken haben, denn auch ihr Schicksal war immer wieder Gegenstand seiner Überlegungen in der Wendezeit 1989/90. Hans Dietrich Genscher hat die Rumänen nicht vergessen, und das werden sie ihm nie vergessen. Ich glaube, dass er einer der großen Visionäre unserer Zeit ist. Das hat er bewiesen, als er rund um die historischen Ereignisse Ende der 80er-Jahre ein klar skizziertes Europabild vor Augen hatte. Europa war für ihn mehr als eine Zweckgemeinschaft, Europa ist für ihn auch ein Bund für Frieden und Sicherheit. Es ist ein großes Geschenk, dass wir seit so vielen Jahren in Frieden leben können. Auch meinem Sohn versuche ich dies immer wieder deutlich zu machen. Wir leben in einem Land, in dem Freiheit mehr ist als nur ein Wort. Insbesondere mit Blick auf meine Jugend weiß ich heute den Begriff »Freiheit« entsprechend zu würdigen. Dies dürfen wir vor dem Hintergrund unserer jüngsten Vergangenheit niemals vergessen. Es ist keine Selbstverständlichkeit und diesen Umstand müssen wir den kommenden Generationen immer wieder verdeutlichen.
Das große Glück in meinem Beruf sind also die unterschiedlichen Menschen, die ich kennenlernen kann und darf. Das erlebe ich nun schon seit 40 Jahren. Oft sind es nicht die prominenten Gesichter, die mir in Erinnerung bleiben. So war es auch bei meinem Besuch bei den Aborigines im Vorfeld der Produktion »Begegnungen« in den 90er-Jahren. Damals wollten wir bewusst ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit und für das Miteinander unterschiedlicher Kulturen setzen. Die grausamen Ereignisse in Hoyerswerda und Solingen hatten wir noch vor Augen. Wir wollten zeigen, dass Deutschland mehr ist als diese Minderheit von Ewiggestrigen, die keine Toleranz zulassen. Darum sind wir mit Freunden auf Reisen gegangen und haben mit Musikern aus Israel, Australien, der Türkei und anderen Ländern musiziert. Wir sind ganz anders in die Kulturen eingetaucht, weil uns die Künstler aus den jeweiligen Ländern an die Hand nahmen, um uns ihr Land und ihre Lebensumstände näherzubringen. In Australien wurde ich von Mandawuy Yunupingu adoptiert. Er hat mich zu einem Teil seiner Familie gemacht, eine der höchsten Auszeichnungen, die einem dort zuteilwerden kann. Mandawuy, ein hoch angesehener Musiker und Kopf der Band Yothu Yindi, hat damit einen Brückenschlag geschaffen, der weit über die Musik hinausgeht. Für ihn war es eine Verpflichtung, für mich ein
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