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Der neutrale Planet

Der neutrale Planet

Titel: Der neutrale Planet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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herum.
    Kannibalismus. In Tschu-ku-tien, Drachengebeinhügel, fünfundzwanzig Meilen südwestlich von Peking, entdeckten Paläontologen, die zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in einer Höhle gruben, die Fossilienschädel des Pekingmenschen, Pitecanthropus pekinensis. Die Schädel waren an der Basis abgebrochen, was Franz Weidenreich, den Leiter der Ausgrabungen, zu der Hypothese veranlaßte, der Pekingmensch sei Kannibale gewesen und habe die Hirne seiner Opfer durch die Schädelbasis entfernt und sie gekocht und gegessen – an der Grabungsstätte fand man Feuerstellen und Holzkohlenreste – bevor er die Schädel als Trophäen in der Höhle hinterließ. Das Fleisch deines Feindes essen: seine Fähigkeiten, seine Stärken, sein Wissen, seine Leistungen, seine Tugenden in dich aufnehmen. Die Menschheit brauchte fünfhunderttausend Jahre, um sich aus dem Kannibalismus emporzukämpfen. Aber die alte Gier haben wir nie verloren, wie? Es ist immer noch leichter Trost zu gewinnen, wenn man jene verschlingt, die jünger sind, stärker, agiler als du. Wir haben nur die Techniken verbessert, das ist alles. Und so fressen sie uns jetzt roh, die Alten, sie verschlingen uns, Organ um pulsierendes Organ. Ist das wirklich ein Fortschritt? Der Pekingmensch hat sein Fleisch wenigstens gekocht.
    Unsere tapfere neue Gesellschaft, wo alle gleichermaßen an den Triumphen der Medizin teilhaben und die verdienten Seniorbürger nicht das Gefühl zu haben brauchen, ihre Meriten und ihr Prestige werden nur durch ein kaltes Grab belohnt – wir singen die ganze Zeit ihr Lob. Wie begeistert alle von der Organspende-Verpflichtung sind – bis auf ein paar verärgerte Eingezogene, versteht sich.
    Die kitzlige Frage des Vorrangs. Wer bekommt die gelagerten Organe? Es gibt ein kompliziertes System, mit dem die Hierarchie festgelegt wird. Angeblich soll es von einem Großcomputer entworfen worden sein, womit gottähnliche Unparteilichkeit gesichert wurde. Man verdient sich die Errettung durch gute Taten: Leistungen und Wohlverhalten im Alltagsleben erbringen Punkte, die einen die Leiter hinaufschieben, bis man eine der hohen Einstufungen erlangt, 4 G oder höher. Kein Zweifel, das Einstufungssystem ist unparteilich und wird gerecht angewendet. Aber ist es vernünftig? Wessen Bedürfnisse erfüllt es? 1943, im Zweiten Weltkrieg, gab es einen Mangel an dem neu entdeckten Penicillin bei den amerikanischen Streitkräften in Nordafrika. Zwei Gruppen Soldaten bedurften seiner Wohltaten am meisten: jene, die an infizierten Verwundungen litten, und jene, die sich eine Geschlechtskrankheit zugezogen hatten. Ein untergeordneter Militärarzt, der nach offenkundigen Moralprinzipien vorging, entschied, daß die verwundeten Helden eine Behandlung eher verdienten als die durch ihre Genußsucht erkrankten Syphilitiker. Er wurde vom leitenden Stabsarzt überstimmt, der erklärte, daß die Geschlechtskranken schneller in den aktiven Dienst zurückgeschickt werden konnten, wenn man sie behandelte; außerdem dienten sie, unbehandelt, als Infektionsträger. Er gab deshalb ihnen das Penicillin und ließ die Verwundeten auf ihren Schmerzensbetten stöhnen. Die Logik des Schlachtfeldes, unbestreitbar, unanfechtbar.
    Die große Leiter des Lebens. Kleine Wesen im Plankton werden von größeren gefressen, und die größeren Planktonwesen fallen kleinen Fischen zum Opfer, kleine Fische den großen Fischen, und so weiter hinauf bis zum Thunfisch, zum Delphin und zum Hai. Ich esse Thunfisch und gedeihe und werde dick und speichere Energie in meinen lebenswichtigen Organen. Und werde meinerseits von den verrunzelten, zusammengeschrumpften Senioren gefressen. Das ganze Leben ist miteinander verkettet. Ich sehe mein Schicksal.
    In der Frühzeit bestand das Problem darin, daß der Körper das verpflanzte Organ abstieß. Was für eine Verschwendung! Der Körper vermochte nicht zu unterscheiden zwischen einem wohltätigen, wenn auch fremden Organ, und einem eingedrungenen, feindseligen Mikroorganismus. Der als Immunreaktion bekannte Mechanismus wurde mobilisiert, um den Eindringling zu vertreiben. Im Augenblick der Invasion kamen Enzyme ins Spiel, ein Steppenbrandkrieg, der die fremden Substanzen zerlegen und auflösen sollte. Weiße Blutkörperchen ergossen sich über das Kreislaufsystem, wachsame Phagocyten marschierten auf. Durch das Lymphsystem kamen Antikörper, starke Eiweißgeschosse. Bevor man eine Technologie der Organverpflanzungen entwickeln konnte, mußten Methoden

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