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Der neutrale Planet

Der neutrale Planet

Titel: Der neutrale Planet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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gebräunten Unterarm mit dem Injektor. Das Mittel verschwand unter der Haut. Warshow gab ihm drei Kubikzentimeter.
    Falk stöhnte leise.
    »Es wird ein paar Minuten dauern«, sagte Cullinan.
    Der Uhrzeiger rotierte langsam. Nach einer Weile zuckten Falks schlafschwere Lider. Er öffnete die Augen und blickte hinauf, anscheinend, ohne etwas zu sehen.
    »Hallo, Matt. Wir sind hier, um mit Ihnen zu reden«, sagte Cullinan. »Oder vielmehr, wir wollen, daß Sie mit uns reden.«
    »Ja«, sagte Falk.
    »Fangen wir mit Ihrer Mutter an, ja? Sagen Sie uns, was Sie von Ihrer Mutter in Erinnerung haben. Gehen Sie zurück.«
    »Meine – Mutter?« Die Frage schien Falk zu verwirren, und er blieb fast eine Minute stumm. Dann befeuchtete er die Lippen. »Was wollen Sie über sie wissen?«
    »Sagen Sie uns alles«, drängte Cullinan.
    Es blieb still. Warshow ertappte sich dabei, daß er den Atem anhielt.
    Schließlich begann Falk zu sprechen.
    Warm. Geborgen. Halt mich. Mama.
    Bin ganz allein. Es ist Nacht, und ich weine. Mein Bein ist eingeschlafen, und die Nachtluft riecht kalt. Ich bin drei Jahre alt und ganz allein.
    Hältst du mich fest, Mama?
    Ich höre Mama die Treppe heraufkommen. Wir haben ein altes Haus mit Treppen, in der Nähe des Raumflughafens, wo die großen Schiffe starten. Mama hält mich jetzt fest, und ich spüre ihren sanften Duft. Mama ist groß und rosig und weich. Papa ist auch rosig, aber er riecht nicht warm. Onkel ist genauso.
    Ah, ah, Baby, sagt sie. Sie ist im Zimmer und hält mich fest. Das ist gut. Ich werde ganz schläfrig. In ein paar Minuten werde ich einschlafen. Ich mag meine Mama sehr.
    »Ist das Ihre erste Erinnerung an Ihre Mutter?« fragte Cullinan. »Nein. Ich glaube, es gibt noch eine frühere.«
    Dunkel hier. Dunkel und sehr warm und feucht und schön. Ich bewege mich nicht. Ich bin ganz allein hier, und ich weiß nicht, wo ich bin. Es ist, als schwimme man im Meer. In einem großen Meer. Die ganze Welt ist ein Meer. Es ist schön hier, wirklich schön. Ich weine nicht.
    Jetzt tauchen blaue Nadeln in der Schwärze auf. Farben… aller Art. Rot und grün und zitronengelb, und ich bewege mich! Da ist Schmerz und Druck und – oh! – es wird kalt. Ich ersticke! Ich klammere mich fest, aber ich werde in der Luft hier draußen ertrinken! Ich –
    »Das genügt«, sagte Cullinan hastig. »Geburtstrauma«, erklärte er Warshow. »Scheußlich. Braucht er nicht noch einmal alles durchzumachen.«
    Warshow fröstelte ein wenig und wischte sich die Stirn.
    »Soll ich weitererzählen?« fragte Falk. »Ja.«
    Ich bin vier, und draußen regnet es. Die ganze Welt ist grau geworden. Mama und Papa sind fort, und ich bin wieder allein. Onkel ist unten. Ich kenne Onkel gar nicht richtig, aber er scheint die ganze Zeit hierzusein. Mama und Papa sind viel fort. Allein sein ist wie ein kalter Regensturm. Es regnet hier viel.
    Ich liege in meinem Bett und denke an Mama. Ich will Mama haben. Mama ist irgendwo hingeflogen. Wenn ich groß bin, will ich auch fortfliegen – irgendwohin, wo es warm und hell ist und nicht regnet.
    Unten läutet das Telefon. In meinem Kopf kann ich sehen, wie der Bildschirm hell und bunt wird, und ich versuche mir Mamas Gesicht auf dem Bildschirm vorzustellen. Aber ich kann es nicht. Ich höre Onkels Stimme, leise und murmelnd. Ich entscheide, daß ich Onkel nicht mag, und fange an zu weinen.
    Onkel ist hier und sagt mir, ich sei zu groß zum Weinen. Ich soll nicht mehr weinen. Ich sage ihm, daß ich Mama haben will.
    Onkel macht einen bösen Mund, und ich weine lautet.
    Ruhig, sagt er. Still, Matt. Na, na, Matty.
    Er ordnet meine Decken, aber ich ziehe die Beine an und bringe sie wieder durcheinander, weil ich weiß, daß ihn das ärgert. Ich ärgere ihn gern, weil er nicht Mama oder Papa ist. Aber diesmal scheint er sich nicht zu ärgern. Er richtet sie wieder gerade und streicht mir über die Stirn. Seine Hand ist schweißfeucht.
    Ich will Mama, sage ich.
    Er sieht lange auf mich hinunter. Dann sagt er mir, Mama kommt nicht zurück.
    Nie mehr? frage ich.
    Nein, sagt er. Nie mehr.
    Ich glaube ihm nicht, weine aber nicht, weil ich ihm nicht verraten will, daß er mich erschrecken kann. Wie ist es mit Papa, sage ich. Hol ihn.
    Papa wird auch nicht wiederkommen, sagt er.
    Ich glaube dir nicht, sage ich. Ich mag dich nicht, Onkel. Ich hasse dich.
    Er schüttelt den Kopf und hustet. Du solltest lieber lernen, mich zu mögen, sagt er. Du hast sonst niemand mehr.
    Ich verstehe ihn nicht,

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