Der Nine-Eleven-Junge - Bruton, C: Nine-Eleven-Junge - We can be heroes
nicht!«
»Unser Sohn ist nämlich in den Twin Towers gestorben.« Opa richtet sich zu seiner vollen Größe auf und spricht sehr würdevoll. »Und ich wünsche keiner anderen Familie den Schmerz, unter dem wir seitdem leiden.«
Der Polizist schüttelt den Kopf und seufzt. »Wenn ich deswegen meinen Job verliere …« Aber er bringt den Satz nicht zu Ende. Stattdessen holt er sein Walkie-Talkie heraus und spricht alles hinein, was wir ihm eben gesagt haben. Er benutzt Wörter wie »unbestätigt« und »nicht erhärtete Meldungen«, und die ganze Zeit starrt Oma mich und Jed nur an und sagt kein Wort.
Ich frage mich, ob Priti schon an der Kathedrale angekommen ist und wie lange es wohl dauert, bis das Bombenkommando dort ist und die vielen Leute in Sicherheit gebracht werden.Ich stelle mir Shakeel mit dem Sprengstoffgürtel um den Bauch vor, stelle mir vor, wie er einen Knopf drückt und die Flammen durch die Kathedrale brausen und die Menschen aufschreien.
»Wir versuchen ihn zu stellen, ehe er hineingeht«, sagt der Polizist in sein Funkgerät.
Aber ich kann schon sehen, dass es zu spät ist. Im Fernsehen hat der Gottesdienst noch nicht begonnen, doch die Kathedrale ist randvoll. Und dann sehe ich ihn. »Da ist er!«, rufe ich.
Die Kamera beschreibt einen langsamen Kreis durch die Kathedrale, fokussiert auf die Gesichter der Menschen, und dort, in der hintersten Reihe, sehe ich Shakeel. Priti steht neben ihm und starrt an die hohe Decke.
»Verdächtiger eindeutig identifiziert«, meldet der Polizist seinen Kollegen über Funk. »Wo ist er, Junge?«, fragt er mich.
»Da.« Ich zeige ihm Shakeel auf dem Fernsehschirm und hinterlasse einen Fingerabdruck, den Oma später wegwischen muss.
»Hinterste Reihe rechts«, sagt er ins Funkgerät. »Zweiter von links. Er hat ein Mädchen bei sich. Beide traditionell gekleidet.«
»Wie alt ist deine Freundin, Junge?«
»Elfeinviertel«, antworte ich (ich weiß ja, wie sehr Priti Präzision schätzt).
Die Kamera schwenkt auf sie zurück. Priti fummelt mit irgendetwas in ihrem Schoß, doch als sie merkt, dass sie gefilmt wird, zuckt sie zusammen, und plötzlich schaut sie uns durch die Kameralinse an. Ich frage mich, ob sie ahnt, dass Jed und ich sie sehen.
Dann bewegt die Kamera sich wieder weg und konzentriert sich auf Stevies Eltern in der vordersten Reihe – Mrs. SandersBauch ist so prall, dass es aussieht, als könnte sie jeden Augenblick platzen, aber Stevies Vater wirkt irgendwie kleiner als sonst. Ein paar Sekunden später piept Jeds Handy wieder.
»Gib es mir herüber«, sagt der Beamte. Wir gehorchen, und er liest vor: »Wo bliebt ds bomenkomando wenn man s braucht?« Der Polizei leitet die Nachricht an seine Kollegen weiter, die sie nicht kommentieren.
Die Kamera richtet sich wieder auf Shakeel, und der Kommentator sagt, wie toll es sei, Menschen aller Religionen im Publikum zu sehen. Diese Tragödie habe eine Gemeinde zu spalten gedroht, aber heute Abend seien viele Religionen vereint im Mitgefühl für die Familie Sanders, die auf Neuigkeiten über ihre Tochter wartet.
Doch trotz allem, was er sagt, steht für mich fest, dass den Menschen, die rings um Shakeel sitzen, die Nähe eines Mannes, der in eine Robe gekleidet ist, und eines kleinen Mädchens in einem Sari (das sich ständig nervös umsieht) ein bisschen unangenehm ist. Der Gottesdienst beginnt. Der Pfarrer (oder ist er ein Bischof ? – ich weiß nicht genau, wie man das unterscheidet) sagt ein paar Worte, und alles steht auf und singt Ich gelobe dir, mein Heimatland. Opa brummt irgendetwas davon, dass Shakeel seinem verdrehten Glauben treuer sei als seinem Land – aber er sagt es nicht laut. Und der Polizist schreitet auf und ab und sieht total besorgt aus und umklammert sein Funkgerät, als wäre es selbst eine Bombe.
Dann plötzlich erscheinen wie aus dem Nichts jede Menge in schwarze schusssichere Westen gehüllte Polizeibeamte auf dem Fernsehschirm, und unser Polizist ächzt: »Das kostet mich auf jeden Fall die Karriere!« Das Bild ist zurückgefahren und zeigt das Innere der Kathedrale, vollgepackt mit Menschen, von oben,und aus der Vogelperspektive sehen wir, wie kleine schwarze Gestalten sich um Shakeel scharen. Sie halten Maschinenpistolen, und trotz des Gesangs, der weitergeht, weil die Menschen in den vorderen Reihen gar nicht bemerken, was vorgeht, hören wir, wie sie die Leute ringsum anbrüllen, ruhig zu bleiben, während sie Shakeel befehlen, sich auf den Boden zu legen.
Das
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