Der Nine-Eleven-Junge - Bruton, C: Nine-Eleven-Junge - We can be heroes
beginnt wieder wie ein Gangsta-Rapper zu reden. »Jetzt checken wir ab, wie lange er noch lebt!«, ruft sie. »Und dann planen wir was, Alter, wir nehmen ihn mit nach Disneyland!«
»Wieso Disneyland?«, frage ich.
»Weil sie Kinder, die sterben, immer nach Disneyland bringen«, sagt sie und hört wieder auf mit ihrer Getto-Sprache. »Wenn wir jeden dazu bringen, viel Geld zu spenden, können wir sogar mitfahren.«
Ich muss ein bisschen misstrauisch dreingesehen haben, denn sie fragt: »Möchtest du denn nicht wissen, was seine geheimnisvolle Krankheit ist?«
»Ja, aber vielleicht will er nicht, dass wir es wissen.«
»Natürlich will er das«, erwidert Priti. »Er will, dass wir uns alle um ihn kümmern und ihm sagen, wie toll er ist, nur weil er stirbt. Das würde ihm gefallen.«
»Wahrscheinlich schon.«
Priti sieht mir über die Schulter. »Was malst du da?«, fragt sie. »Wieder einen Bombenjäger-Comic?«
»Vielleicht«, antworte ich und schließe mein Skizzenbuch.
»Kann ich ihn sehen?«
»Erst, wenn er fertig ist.«
»Was passiert denn darin?«
»Lil’ Priti wird gekidnappt.«
»Von wem?«
»Von einer Gang, den Ehrenkillern«, sage ich.
»Und ich nehme an, es wird so eine typische patriarchalische Erzählung, in der ich von dir und Jed-Eye gerettet werde, nach dem üblichen Held-rettet-Mädchen-Strickmuster?«
»Vielleicht«, sage ich, weil ich keine Lust habe zu fragen, was patriarchalisch bedeutet. »Vielleicht auch nicht. Ich habe es noch nicht entschieden.«
»Gut«, sagt sie. »Dann wird sich Lil’ Priti einfach selbst retten. Was habe ich da an?«
Auf dem Weg zu dem Termin geht Jed mehrere Schritte vor mir und Oma, und im Bus will er nicht bei uns sitzen.
Darum setzen Oma und ich uns nebeneinander, und sie erzählt mir etwas über die Gebäude, an denen wir vorbeikommen, und wie sie sich verändert haben, seit sie mit Opa hierhergezogen ist. Sie zeigt mir die Schule, die mein Vater besucht hat, wo er bei den Pfadfindern gewesen ist und ein paar andere richtig interessante Dinge. Ich möchte sie noch mehr fragen, aber Jed sitzt in der Reihe vor uns und schnaubt jedes Mal, wenn sie etwas sagt, deshalb lasse ich es.
Ich nehme mein Skizzenbuch hervor und zeichne noch ein paar Bilder des Comicstrips. Ich zeichne Jed, wie er von einem Lähmstrahl getroffen wird, als er versucht, Priti vor den Killern zu retten. Am Ende hat er einen kahlen Kopf, mit dem er aussieht wie eines dieser Krebskinder.
Ich frage nicht, wohin wir fahren, dabei könnte ich sterben vor Neugier. (Vielleicht sollte ich nichts vom Tod sagen für den Fall, dass Jed wirklich sterben muss?) Ich sage nicht einmal etwas, als wir an der Haltestelle vor dem Krankenhaus vorbeifahren. Der Bus fährt weiter Richtung Stadtzentrum, aber erst als wir in eine belebte Einkaufsstraße einbiegen, sagt Oma zu mir: »Jed hat heute überhaupt keinen Termin im Krankenhaus.«
Ich sehe Jed an, der sich zu mir umdreht und mich nur wütend anfunkelt.
»Es tut mir leid, dass wir dich angelogen haben«, fährt Oma fort. »Aber dein Großvater soll nichts davon erfahren, weißt du.«
Aber es ist die falsche Zeit für Fragen, denn der Bus hält. Jed springt auf und geht durch den Gang zum Ausstieg, ohne auf uns zu warten. Wohin auch immer wir gehen, Jed ist offenbar schon früher dort gewesen. Oma ist nervös und greift hastig nach ihrer Handtasche, dann steht sie auf und folgt ihm. Die Türen des Busses beginnen sich zu schließen, und Oma muss den Busfahrer bitten, sie offenzuhalten. Als wir endlich auf die belebte Geschäftsstraße kommen, die voller Menschen mit großen Einkaufstüten ist, ist sie völlig von der Rolle. Sie erscheint mir ganz klein: Ich erinnere mich, wie sie einmal sagte, dass sie nicht mehr gern in die Stadt fährt, weil das Gedränge sie nervös macht und die hohen Gebäude sie an Dad erinnern und sie Angst hat, dass sie über ihr zusammenbrechen.
Und Jed muss das wissen – besonders, wenn sie nicht zum ersten Mal hierherkommen –, aber er rennt voraus, ohne auch nur zurückzusehen.
Oma ruft ihm nach, er solle nicht so weit weglaufen, und er tut so, als hätte er sie nicht gehört. Ich merke, dass sie besorgt ist, deshalb hake ich mich bei ihr unter, als wir Jed in ein großes Kaufhaus folgen.
Hinter der Drehtür ist das Kaufhaus mit Menschen und Waren und komischen grellgelben Lampen vollgepackt, und im ersten Moment sehen wir beide Jed nicht mehr. Wir irren zwischen den Make-up-Theken mit den schrill angemalten
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