Der Nobelpreis
verschlief ich.
In stockdunkler Nacht fuhr ich hoch, mit dem deutlichen Gefühl, dass etwas nicht stimmte, dass etwas ganz und gar schief gegangen war. Ich weiß nicht, was mich geweckt hat; es war völlig still, nicht einmal auf der Straße war ein Laut zu hören. Ich tastete nach dem Lichtschalter, sah auf die Uhr und wusste, was nicht stimmte: Die Zeiger standen auf zehn vor vier. Mehr als eine Stunde zu spät. Ich hatte geschlafen wie ein Toter. Ich konnte mich nicht einmal daran erinnern, dass der Wecker überhaupt geklingelt hatte, aber aus irgendeinem Grund war der Knopf eingedrückt, der Alarm also abgeschaltet worden.
War das dramatisch?, überlegte ich mit laut schlagendem Herzen. Ja, es war dramatisch. In zehn Minuten würde mein sich am Rande des Wahnsinns befindlicher Schwager in Södertälje Position beziehen und mit brennender Unrast darauf warten, dass ich aus dem Haus des Rütlipharm-Managers zum Vorschein kam, möglichst mit seiner einzigen Tochter in den Armen.
Die naheliegendste Sache der Welt wäre gewesen, ihn auf dem Mobiltelefon anzurufen und Bescheid zu sagen. Zumindest wäre sie nahe liegend gewesen für jemanden, der nicht die letzten sechs Jahre in einem Gefängnis fernab der technischen und sonstigen Entwicklung verbracht hatte. Was mich betraf, war das Wissen um die Existenz und die Nutzungsmöglichkeiten von Mobiltelefonen in den drei Tagen seit meiner Entlassung noch nicht tief genug in meinen Geist eingesickert, als dass es mir in dieser Situation eingefallen wäre, Hans-Olof anzurufen. Meine Reaktion bestand ganz altmodisch darin, mit einem ebenso aussichts-wie atemlosen »Jetzt aber schnell!« aus dem Bett und in meine Kleidung zu springen und drei Minuten später zur Wohnungstür hinaus-und die Treppe hinunterzurennen.
Im Laufen vergewisserte ich mich, dass ich alles dabeihatte: Werkzeugtasche, Autoschlüssel, Pistole. Groß und schwer schlug sie mir im Takt meiner Schritte gegen die Brust. Verdammt, das war so … amateurhaft. Und das schon gleich zu Beginn des wahrscheinlich riskantesten Einbruchs meiner Laufbahn! Aber ich hatte nur dieses Bild vor Augen: Hans-Olof hinter dem Steuer seines Wagens wartend, während sich die Minuten zu Ewigkeiten dehnten, verbissen das Lenkrad umklammernd … Bestimmt stand er schon da, war früher von zu Hause losgefahren, unter Garantie. Wie lange würde er es ertragen zu warten? Wie lange würde er es aushalten, dass sich nichts rührte? Da wir nicht ausgemacht hatten, uns vorher zu treffen, würde er glauben, ich sei längst drinnen. Dabei hatte ich gerade erst das Auto erreicht. Als die Uhr auf vier sprang, raste ich mit riskant hoher Geschwindigkeit die Hornsgatan entlang und hoffte, dass nicht ausgerechnet in dieser Nacht Geschwindigkeitskontrollen stattfanden und eine Polizeistreife auf mich aufmerksam wurde.
Als ich Stockholm hinter mir hatte und legal Gas geben konnte, war ich wieder so wach, dass mir das Mobiltelefon einfiel. Ich zog es aus der Tasche, schaltete es ein und betätigte die laste, die automatisch Hans-Olofs Nummer wählte. Das kam mir geradezu halsbrecherisch vor: Ich war seit Jahren nicht mehr Auto gefahren, schon gar nicht so schnell, und beim Autofahren telefoniert hatte ich noch nie im Leben.
Eine synthetisch klingende Frauenstimme ließ mich wissen, dass der gewünschte Gesprächspartner gerade telefonierte oder aus anderen Gründen nicht erreichbar war und bot mir an, eine Nachricht auf seiner Mailbox zu hinterlassen. Piep!
Auch das noch. Was hatte mein Schwager um diese Zeit zu telefonieren? Vielleicht bedeutete das, dass er umgekehrt gerade in diesem Moment versuchte, mich zu erreichen. Das war zwar alles andere als abgesprochen, und mir gruselte bei dem Gedanken an ein Telefon, das in der Hosentasche klingelte, während ich des Nachts durch ein fremdes Gebäude schlich, aber zuzutrauen war es ihm in seinem derzeitigen Zustand allemal. Ich musste bei Gelegenheit noch einmal ein ernstes Wort mit ihm reden, damit er begriff, was ging und was nicht.
Da ich keine Ahnung hatte, wie geduldig mir diese Mailbox zuhören würde, schrie ich Hans-Olof die wesentlichen Fakten aufs Band: dass ich verschlafen hatte, dass ich in der Anfahrt auf Södertälje begriffen sei und gerade Fittja passiere und dass er nichts Unüberlegtes tun solle. Dann unterbrach ich die Verbindung und legte das Telefon eingeschaltet neben mich, für den Fall, dass er zurückrief. Ich hatte keine Ahnung, wann er meine Nachricht hören würde. Aus
Weitere Kostenlose Bücher