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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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umgehängten Utensilien angesehen hätte: Eilig und dreist, aber zugleich im Grunde höchst gelangweilt, marschierten sie auf das Haus zu und ließen sich von einem Uniformierten mit Panzerweste nur widerwillig bremsen. Ein Mikrofon wurde gezückt, der Polizist winkte ab, deutete auf irgendjemand im Hintergrund. Die beiden Männer trennten sich. Der mit dem Mikrofon machte sich vermutlich auf die Suche nach jemandem, von dem er ein Statement bekommen würde, der andere zog eine Kamera und fing an, Bilder vom Schauplatz des Geschehens zu machen, von Leuten, die frierend zwischen Autos standen und weiße Wolken in die Nacht atmeten, von Männern mit Schusswaffen, die abwartend dastanden und finster dreinblickten.
    Ohne Unterlass fotografierend, ging er immer weiter rückwärts die Straße hoch, vermutlich in dem Bemühen, die Szenerie in Gänze einzufangen. Ich trat aus dem Dunkel der Hecke an den Straßenrand und in den Lichtkegel einer der Straßenlaternen, sodass er mich bemerken musste.
    »Hallo«, sagte er mit einem kurzen Seitenblick. »Sagen Sie, wissen Sie, was hier los ist?«
    »Keine Ahnung«, erwiderte ich. »Aber wenn Sie es nicht wissen, erfahre ich es morgen früh aus der Zeitung wohl auch nicht, oder?«
    Er hörte auf zu fotografieren. »Morgen früh sowieso nicht, die Morgenzeitungen sind schon in der Auslieferung. Frühestens in den Abendblättern. Falls es was Wichtiges ist.«
    »Und wann wissen Sie, ob es was Wichtiges ist?«
    »Deswegen frage ich ja«, meinte er. Er wirkte breitschultrig, was aber auch an der Jacke liegen konnte, und sein Gesicht war voller Lachfalten. »Wohnen Sie hier in der Gegend? Bisschen früh für einen Spaziergang, oder? Und kalt.«
    »Die Kälte macht mir nichts. Ich wohne da drüben.« Ich machte eine vage Handbewegung auf das Zentrum von Södertälje hin und behauptete: »Ich habe früher als Bäcker gearbeitet. Seither wache ich immer Punkt halb drei auf, ich kann machen, was ich will.«
    »Na, das ist ja lästig«, meinte er desinteressiert, während er an seiner Kamera herumhantierte. »Die Polizei behauptet, es gehe um eine Bombendrohung. Was meinen Sie, stimmt das?«
    Ich sah genauer hin, was er da machte. Zu meiner Verblüffung sah ich, dass sein Gerät den alten Traum aller Fotografen wahr werden ließ, geschossene Bilder sofort ansehen zu können, und zwar auf einem winzigen Bildschirm in der Kamerarückwand. Eine Digitalkamera. Davon gehört hatte ich, aber noch nie eine mit eigenen Augen gesehen.
    »Eine Bombendrohung?«, wiederholte ich schließlich. »Seltsam. Ich meine, das ist hier doch eine ganz normale Wohngegend.«
    Er packte seine Kamera mit unzufriedenem Gesichtsausdruck weg und musterte mich beiläufig. »Wie man’s nimmt«, meinte er. »In dem Haus wohnt ein Manager des Schweizer Pharmakonzerns, der die diesjährige Nobelpreisträgerin in Medizin stellt. Vielleicht ist es jemandem ein Dorn im Auge, dass die morgen nach Stockholm kommt.«
    »Ach so?«, meinte ich trottelig. »Aber die Preisverleihung ist doch erst in einer Woche.«
    »Klar, aber wenn man den Nobelpreis gewinnt, will man das schließlich auskosten. Die Preisträger kommen immer ein paar Tage vorher an.«
    »Verstehe.« Ich nickte mit dämlichem Grinsen. »Eine Party nach der anderen. Würde ich auch so machen.« Ich sah ihn stirnrunzelnd an. »Aber was soll da eine Bombe?«
    Der Journalist schlug den Kragen seiner Jacke hoch. »Gute Frage, nicht wahr?« Vom Auto unten winkte der andere, der mit dem Recorder. »Falls ich was rausfinde, lesen Sie’s spätestens übermorgen im DAGBLADET. Gute Nacht!« Damit eilte er davon.
    Ich ging ihm langsam nach, die Hände in den Jackentaschen. Mit der einen Hand hielt ich die Pistole in der Innentasche gegen die Brust gedrückt, damit sich ihre Konturen nicht durch den Stoff abzeichneten. Nach wie vor war die Straße erfüllt von sinnverwirrendem Geflimmer aus zuckendem Blaulicht, dem Widerschein von Autoscheinwerfern und gelben Blinklichtern, und als ich die Einmündung einer Seitengasse passierte, blinkte mich daraus auch noch etwas an. Ich sah genauer hin – und erkannte Hans-Olofs Wagen!
    »Gott sei Dank«, kam seine jammernde Stimme aus dem Dunkel, als ich mich im Zustand höchster Verwunderung dem Auto näherte. »Ich dachte schon, jetzt ist alles aus.«
    In der Dunkelheit erkannte ich nur einen fahlen runden Fleck hinter einer heruntergekurbelten Seitenscheibe. »Danke der Nachfrage, mir geht’s beschissen«, erwiderte ich schniefend.

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