Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
Vom Netzwerk:
etwas, das womöglich Muskeln unter schwabbeligem Fettgewebe waren. »Wenn du es nicht tust, mache ich es selber.«
    Ich versuchte, mir meinen übergewichtigen Schwager vorzustellen, wie er, eine schwarze Skimaske über dem bebrillten Gesicht, die Mauer erklomm, und musste auflachen. »Du? Wie willst du das denn machen?«
    Er beugte sich zu mir herüber, riss das Handschuhfach auf und holte einen in graues Tuch gewickelten Gegenstand heraus. Er hielt ihn mir hin. »Damit zum Beispiel.«
    »Was ist das?« Eine dumpfe Ahnung verriet es mir schon, aber ich weigerte mich, dumpfen Ahnungen zu glauben.
    Hans-Olof bewegte die Hand einmal kurz, sodass der Stoff zur Seite glitt und glänzenden Stahl entblößte. Es war eine Pistole. Verdammt noch mal, er hatte ein verfluchtes Schießeisen.
    Ich schluckte. »Hans-Olof«, flüsterte ich. »Mach keinen Scheiß.«
    »Ich werde mir nicht nachsagen lassen, dass ich nicht alles getan hätte, um Kristina freizubekommen. Auch von dir nicht.«
    »Mann!« Er hielt die Waffe immer noch etwas unschlüssig in der Hand, und aus einem Impuls heraus nahm ich sie an mich.
    Es mag verwundern, aber obwohl ich in einem Bereich außerhalb des Gesetzes arbeite, hatte ich noch nie zuvor eine Schusswaffe in der Hand gehabt. Ich war überrascht, wie schwer sie war. Sie roch nach Öl, eine schwere, kalte Maschine mit zahllosen Kratzern im Metall. Sie sah alt aus, abgenutzt.
    »Woher hast du die, um alles in der Welt?«
    Hans-Olof nestelte unschlüssig mit dem Tuch herum, in dem sie eingewickelt gewesen war. »Ich dachte … Na ja, falls ich es nicht schaffe, dass du freikommst; für den äußersten Notfall … Ich wollte irgendetwas haben, irgendetwas tun können, damit sie Kristina und mich nicht einfach nur … abschlachten. «
    »Aber woher? Woher hast du sie?«
    »Gekauft.«
    »Man kann in Schweden Schusswaffen nicht einfach kaufen.«
    »Es war auch nicht einfach.« Er sank in seinem Sitz zusammen. »Ich war am Hafen, in einer dieser grauenhaften Bars dort. Ich habe herumgefragt. Wahrscheinlich habe ich mich wie ein Idiot benommen und viel zu viel bezahlt, aber das ist mir egal. Ich meine, was sind schon vierzigtausend Kronen?«
    »Du bist in eine Bar gegangen, und jemand hat dir einfach eine Knarre verkauft?« Vierzigtausend war in der Tat zu viel. Für so viel Geld bekam man in einschlägigen Kreisen nicht nur eine Kanone, sondern auch gleich die Hand dazu, die sie auf die gewünschte Person abfeuerte.
    »Ich war mehrmals dort. Ich habe den Mann hinter der Theke gefragt, und irgendwann hat er gemeint, ich solle am nächsten Tag zu einer bestimmten Uhrzeit wiederkommen und das Geld mitbringen. Das habe ich gemacht und bin schon auf dem Parkplatz von einem Mann angesprochen worden, der Bescheid wusste. Keine Ahnung, welcher Nationalität er war. Jugoslawe, denke ich. Oder wie immer man da heute dazu sagt.«
    Ich drehte die Pistole hin und her. Sie lag beunruhigend gut in der Hand. »Funktioniert sie?«
    »Ich glaube schon.«
    »Was heißt das? Hast du sie ausprobiert oder nicht?«
    »Ich war draußen im Wald, in einem alten Steinbruch … Dreimal habe ich geschossen, dann war es mir zu laut. Zu … schrecklich.« Er stopfte das Tuch ins Handschuhfach zurück, blickte die Waffe an und dann mich. »Nimm du sie. Du hast Recht, ich bin für solche Sachen nicht gemacht. Ich kann das nicht. Ich kann meine Tochter nicht mit einer Waffe in der Hand verteidigen. Wenn du es nicht tust, dann weiß ich nicht weiter.«
    Ich betrachtete die Pistole genauer. An der Seite des Laufs war ein kleiner, fünfzackiger Stern eingeprägt, und oberhalb des Griffs glaubte ich ein paar kyrillische Buchstaben zu erkennen. Daneben war ein Hebel, vermutlich die Sicherung; ich ließ ihn, wie er war, in der Hoffnung, dass es die sichere Position war. Ich schaffte es, das Magazin herauszuziehen; es waren noch siebzehn Patronen darin. Ich schob die Waffe in die Innentasche der Jacke, wo sie schwer am Stoff zog. Auf einmal begriff ich, wozu es Halfter gab.
    »Also gut«, sagte ich. »Ich gehe rein und sehe nach. Aber nicht jetzt; erst heute Nacht.« Wenn ich etwas aß, ein Aspirin einwarf und ein paar Stunden Schlaf bekam, würde ich vielleicht zu einer solchen Aktion imstande sein; im Augenblick war ich es mit Sicherheit nicht.
    »Du weißt nicht, was sie mit Kristina da drin machen«, sagte Hans-Olof mit zittriger Stimme.
    »Dasselbe wie in den letzten Wochen und Monaten auch, schätze ich. Es muss sein, Hans-Olof. Sie hat so

Weitere Kostenlose Bücher