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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Grimassen schnitt. Es tat weh, sie so wiederzusehen.
    Nein, halt mal! Ich sah genauer hin. Das war nicht immer Inga auf den Fotos. Auf manchen war sie viel zu … jung!?
    Kristina?, fragte ich lautlos, auf eine Gruppe von Bildern deutend. Hans-Olof nickte, die Lippen zusammengekniffen.
    Kristina. Unglaublich, wie ähnlich sie ihrer Mutter geworden war. Auf einmal war es doppelt unerträglich, sie in den Händen von Verbrechern zu wissen. Es war, als träte zu der Angst um meine Nichte die Sehnsucht nach meiner verlorenen Schwester hinzu. Ich spürte ein Zittern im Kiefer. Wut wahrscheinlich.
    Ich trat von der Wand weg und versuchte, die Fassung zurückzugewinnen. Solange ich das Haus nicht untersucht hatte, mussten wir davon ausgehen, dass Hans-Olofs Überwacher nicht nur alles hörten, was drinnen gesprochen wurde, sondern uns auch sehen konnten.
    »Auf meinem Auftragszettel steht ›Heizungsgeräusch‹«, sagte ich also, in einem gelangweilt-professionellen Tonfall, wie ich hoffte. »Was ist denn damit gemeint?«
    Hans-Olof nickte grimmig. »Bei Tag fällt es kaum auf, aber nachts macht es mich wahnsinnig«, sagte er und wirkte dabei absolut nicht so, als hätte ich ihm seinen Dialog erst vor einer knappen Stunde eilig ins Ohr geflüstert. Im Gegenteil, wer ihn sah, musste glauben, dass ihn das Problem seit Tagen plagte.
    »Hören Sie es nicht? Dieses Knacken und Zischen? Überall, als würde das Haus demnächst auseinander brechen.«
    Ich betrachtete die stummen, stillen Wände und überlegte, wo ich Wanzen unterbringen würde, wenn ich müsste. Ich konnte mich einer gewissen Bewunderung für die Art, wie Hans-Olof meine dürren Vorgaben umsetzte, nicht erwehren. Man musste fast hoffen, dass jemand zusah, damit so viel Schauspielkunst nicht verschwendet war.
    »Ja, jetzt höre ich es«, behauptete ich. »Hmm. Wie alt ist denn das Haus?«
    »Ich glaube, es ist um 1960 gebaut worden.«
    »Verstehe. Also, ich sage es Ihnen gleich: Es kann sein, dass ich eine Wand aufschlagen muss.«
    »Machen Sie keine Witze.«
    »Ich sagte, kann sein. Muss nicht. Erst mal muss ich an alle Heizkörper«, sagte ich. »Und vorher was an Ausrüstung aus dem Wagen holen.« So, Ende der Vorstellung. Damit war meine Anwesenheit im Haus Andersson für eventuelle Lauscher hoffentlich hinreichend begründet. Ich holte den großen, neutralen Karton aus dem Elektronikladen in Stuvsta und fing an, auszupacken.
    Das große, faszinierende Fachgebiet des Abhörens ist mir natürlich alles andere als fremd. Grob geschätzt die Hälfte meiner Einbrüche galt nicht der Beschaffung von Dokumenten, sondern den Vorbereitungen eines »Lauschangriffs«, wie man das in Fachkreisen nennt.
    Es versteht sich von selbst, dass gerade ein solcher Einbruch absolut spurenfrei vonstatten gehen muss. Es darf morgens, wenn der Pförtner aufschließt, nicht einmal nach Arbeit riechen, auch wenn eine derartige Aktion natürlich mit nicht wenig davon verbunden ist. Das Büro des Vorstandsvorsitzenden muss aussehen wie an jedem anderen Morgen auch. Im Besprechungszimmer der Direktoren darf nicht der kleinste Krümel darauf hinweisen, dass irgendetwas anders sein könnte als bisher. Die Schreibtische in der Entwicklungsabteilung sollten genauso unverdächtig wirken. Und so weiter.
    Das häufigste Ziel ist natürlich das Belauschen vertraulicher Gespräche, und das wichtigste Hilfsmittel hierzu ein landläufig als »Wanze« bezeichnetes Gerät. Wanzen sind Kombinationen aus winzigen Mikrofonen mit Sendern, die das, was die Mikrofone auffangen, an Empfangsgeräte weiterleiten, die imstande sind, es aufzuzeichnen. Dabei stellen Entfernungen von bis zu einem halben Kilometer zwischen Wanze und Empfänger kein Problem dar. Ich habe mir für solche Aufträge meist ein Zimmer in der Nachbarschaft des betreffenden Firmengebäudes gemietet oder, wenn so etwas nicht verfügbar war, einen unauffälligen Kleinbus verwendet, den ich natürlich jeden Tag woanders parken musste.
    Wanzen können praktisch überall versteckt werden. Die Mikrofone sind so empfindlich, dass sie auch durch Abdeckungen hindurch funktionieren und selbst Gespräche in größerer Distanz mit erstaunlicher Tonqualität auffangen. In der Praxis ist jedoch nicht die Unterbringung der Wanze das Problem, sondern ihre Stromversorgung. Wanzen mit Batteriebetrieb sind größer, und sie halten nur begrenzte Zeit. Deswegen bringt man sie gerne dort an, wo Strom zur Verfügung steht – in Lampenfüßen, im Inneren von

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