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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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dreinblickende junge Popsänger abgebildet waren, die ich noch nie gesehen hatte, oder Pferde. Eine skurrile Mischung.
    »Normalerweise ist nicht so aufgeräumt«, sagte Hans-Olof leise. Er stand in der Tür und sah mir zu, wie ich alles mit dem Sweeper abging, und er flüsterte mit zerbrechender Stimme.
    »Ich war das. Sie ist sehr unordentlich. Wir haben oft deswegen gestritten. Ich glaube, das Letzte, was ich zu ihr gesagt habe, war, dass sie endlich ihr Zimmer aufräumen soll.« Er hielt inne, starrte den Türrahmen an, kratzte mit dem Fingernagel daran herum. »Ich hab sie deswegen angeschrien. Das letzte Mal, als ich sie gesehen habe.«
    Ich räusperte mich. »Es bringt nichts, wenn du dich quälst.«
    Leichtsinn, so zu reden, ehe wir wegen der Wanzen hundertprozentig sicher waren.
    Er nickte, presste die Lippen zusammen, hörte fast nicht mehr auf zu nicken. Endlich drehte er sich um und ging die Treppe hinunter.
    Ich musste mich setzen. Mein Blick fiel auf ein kleines Foto, das gerahmt über dem Schreibtisch hing und ein ochsenblutrot gestrichenes Holzhäuschen in einem blühenden Garten zeigte. Ich hätte gerne gewusst, was Kristina bewogen hatte, ausgerechnet dieses Bild zu rahmen und aufzuhängen anstatt eines ihrer Mutter.
    Eigentlich, so musste ich mir eingestehen, kannte ich sie überhaupt nicht.
    Ich kannte ein kleines Mädchen, das seinen Puppen und Stofftieren Verbände anlegte und Fieber maß. Ich kannte ein kleines Mädchen, das auf Bäume kletterte und beim Tollen im Garten über die Stränge schlagen konnte. Ich kannte ein kleines Mädchen, das Angst hatte, im Dunkeln einzuschlafen, und dem vom Autofahren schlecht wurde. Aber wie viel davon war in der vierzehnjährigen Kristina noch zu finden? Vierzehn, du lieber Himmel! Auf den Fotos unten im Flur war zu erkennen gewesen, dass sie schon einen beachtlichen Busen entwickelt hatte. Wahrscheinlich hatte sie längst angefangen, sich zu schminken und die Jungs in ihrer Klasse verrückt zu machen.
    Ich schaltete den Sweeper wieder ein und machte weiter, obwohl ich wusste, dass ich auch hier nichts finden würde.
    Es war mehr Verzweiflungstat als sinnvolles Handeln. Wie auch immer diese Sache ausging, nur ein Wunder konnte Kristina ihr normales Leben zurückgeben. Und ich glaubte nun mal nicht an Wunder.
    Ich suchte alle Räume des Hauses ab. Inzwischen war es fast zwei Uhr, und draußen wurde es schon wieder so dunkel, dass man, ohne verdächtig zu wirken, die Rollläden herunterlassen konnte. Keine Wanze. Keine Kamera. Nichts. Nach meinem fachlichen Urteil – auf das ich mir einiges zugute halte – war das Haus Andersson sauber. Ich stand vor einem Rätsel.
    »Es kann sein«, formulierte ich die letzte Hypothese, die mir einfiel, »dass sie sich damit begnügen, dein Telefon abzuhören. In dem Fall kann die Wanze überall entlang der Leitung sitzen. In einem Schaltkasten, was weiß ich. Das kann ich nicht feststellen, ohne dass es jemandem komisch vorkommt, der das Haus im Blick behält.«
    Hans-Olof nickte ergeben. »Und was hast du jetzt vor?«
    Ich ging zu meinem Pappkarton und holte einen Kassettenrecorder und ein wenig elektronischen Schnickschnack. »Ich werde das hier an dein Telefon anschließen. Sobald Kristinas Entführer wieder anrufen, brauchst du nur auf die Taste zu drücken, und das Gespräch wird aufgezeichnet.« Ich zückte meinen Schraubenzieher und begann, die Schrauben zu lösen, die die Verkleidung des Telefonapparats hielten.
    Hans-Olof sah mir skeptisch zu. »Und wozu soll das gut sein?«
    »Wenn man mit geeigneten technischen Mitteln die Stimme dämpft und die Hintergrundgeräusche verstärkt«, erklärte ich, »kann man unter Umständen etwas heraushören. Etwas, das uns einen Hinweis darauf gibt, wo Kristina festgehalten wird.«
    »So etwas kannst du?«
    »Ich nicht. Aber ich kenne jemanden, der es kann.«
    »Ach so.« Hans-Olof schien beeindruckt. Die Information, dass derjenige, der so etwas konnte, gegenwärtig wie vom Erdboden verschwunden war, ersparte ich ihm.
    Während ich den elektronischen Schnickschnack in die Innereien des Telefons hineinpfriemelte und das Tonbandgerät mit dem elektronischen Schnickschnack verband, kamen wir irgendwie auf Sofía Hernández Cruz zu sprechen. Ich sagte ganz arglos und nebenbei, ich verstünde immer noch nicht, was genau sie eigentlich erforscht habe.
    Das hätte ich besser gelassen, denn Hans-Olof fing sofort an zu sprudeln wie ein Loch in einer Staumauer. Zuerst erklärte er mir

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