Der Nobelpreis
wie Labor 15/ Fredholm oder Laser – kein Zutritt, wenn Warnlampe leuchtet. Es war totenstill bis auf ein tiefes, weit entferntes Maschinengeräusch.
»Freitagnachmittag ist hier nie was los«, erklärte Hans-Olof verhalten, als er endlich eine der Türen für uns öffnete. »Da sind alle schon im Wochenende.«
Wir kamen in einen kahlen, fensterlosen Raum, in dem nur ein paar Tische und Stühle standen. Auf einer weißen Wandtafel prangten chemische Formeln, von denen ich lediglich die der Ascorbinsäure erkannte.
»Der eifrige Wachmann da vorne offenbar nicht«, erwiderte ich, nachdem die Tür wieder zu war. »Wer war denn das?«
Hans-Olof ließ sich auf einen Stuhl sinken. Die Maske fiel von ihm ab, zum Vorschein kam ein zu Tode erschöpfter Mann. »Einer meiner Doktoranden«, sagte er. »Seine Frau hat gerade ein Kind gekriegt, seither ist er aus dem Institut kaum wegzukriegen.«
»Wie edel.« Ich stellte den Karton auf einen Tisch und musterte die Wände. Dünne weiße Raumteiler, nicht besonders vertrauenerweckend. Wenn jemand nebenan war, brauchte er keine Wanze, um alles mitzuhören, was wir sagten. »Gibt es noch mehr solch glückliche Familienväter hier?«
Hans-Olof schüttelte den Kopf. »Sonst ist niemand hier. Hier hört uns keiner.«
»Hoffen wir’s.« Ich fing an, auszupacken. »Also, das geht im Grunde ganz einfach. Du musst –«
»Sie haben noch einmal angerufen«, sagte Hans-Olof.
Ich hielt inne, legte das Endstück des Sweepers wieder zurück und sah ihn an.
»Und?«
»Ich soll nicht an der Nobelfeier teilnehmen, sondern zu Hause bleiben und auf Anweisungen warten.«
»Oha«, meinte ich. Daran hatte ich gar nicht gedacht. Als Mitglied der preisverleihenden Akademien nahm Hans-Olof natürlich normalerweise an den Feierlichkeiten teil und hatte, wenn ich mich recht entsann, sogar einen Platz auf der Bühne.
»Und«, fügte Hans-Olof zittrig hinzu, »sie sagten, das sei der letzte Anruf vor nächstem Mittwoch.«
Ich hatte auf einmal ein ganz ungutes Gefühl. »Dann hätten wir uns die Aktion mit dem Tonband also sparen können?« ’
»Ja«, bestätigte er geistesabwesend. »Meinst du, Kristina lebt überhaupt noch?«
Das war die große Frage. Vielleicht hatten sie sie schon umgebracht. Oder sie war ihnen doch entwischt, versteckte sich irgendwo, und sie suchten sie verzweifelt? Nein, idiotische Hoffnung. Wenn es so gewesen wäre, hätte sie sich gemeldet.
»Das sollte sie besser«, knurrte ich. »Andernfalls werden die Verantwortlichen eines grausamen Todes sterben, so wahr ich Gunnar Forsberg heiße.« Ein blöder Spruch. Pfeifen im Walde. Es klang selbst in meinen Ohren schal.
Hans-Olof starrte ins Leere. Ich sah, wie ein Muskel in seinem Gesicht nervös zuckte. Auf einmal kam es mir so kindisch vor, wie ich ihm Hoffnungen gemacht hatte. Wie selbstsicher ich anfangs dahergekommen war. Als sei das alles nur ein Problem weniger Stunden, lösbar mit ein paar geknackten Schlössern, ein paar Fausthieben und einem Revolver in der Hand, wenn man ein richtiger Mann war.
Dabei verstand ich in Wirklichkeit von Erpressungen genauso wenig wie er. Im Grunde hatte auch ich nur darüber gelesen. Nur weil mein Beruf zufällig strafbar war, machte mich das noch lange nicht zu einem Experten für andere strafbare Handlungen.
Inzwischen, so musste ich mir eingestehen, war mir völlig schleierhaft geworden, was in den Köpfen von Kristinas Entführern vor sich gehen mochte. Das meiste von dem, was seit meiner Entlassung aus dem Gefängnis passiert war, widersprach allen Erwartungen, die ich gehabt hatte. Zumal dies keine normale Entführung war. Es ging nicht um Lösegeld, also bestand nicht die Hoffnung, wenigstens bei dessen Übergabe in direkten Kontakt mit den Gangstern zu kommen.
»Mir ist noch etwas eingefallen«, sagte Hans-Olof in meine trüben Gedanken hinein. »Ich weiß nicht, ob es wichtig ist … Als ich Bosse Nordin damals von dem Bestechungsversuch erzählt habe, hat er irgendetwas gemurmelt wie ›ich muss ihn anrufen‹. Ich habe das nicht verstanden, aber ich glaube inzwischen, er meinte den Mann mit den Fischaugen. Den Polizisten, du erinnerst dich?«
Ich nickte. »Steht klar und deutlich und in Farbe vor meinem inneren Auge. Du meinst, dein bester Freund Bosse Nordin hat engeren Kontakt zu den Kerlen, als er dir gegenüber zugegeben hat?«
Hans-Olof fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. » Du hast das immer gesagt«, meinte er. »Dass die Welt schlecht ist. Dass man
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