Der Nobelpreis
guten Schritt weiter.«
Ich starrte in ein eckiges Spülbecken aus weißem Emaille, in dem kleine, blutige Skalpelle lagen. Einer der Wasserhähne tropfte, und jeder Tropfen wurde, sobald er unter den Klingen hindurch zum Abfluss rann, zu einem dünnen, rotbraunen Streifen.
»Ich würde jetzt gerne gehen«, sagte ich.
»Ach so, ja. Natürlich.« Hans-Olof räusperte sich, ging zur Tür und schloss klappernd auf. Ein kalter Windstoß fegte herein, als er sie öffnete, und von den Tischen rechts und links hörte ich einen ganzen Chor von Mäusestimmen jämmerlich fiepen.
»Du sagst Bescheid?«, fragte Hans-Olof, als ich mit meinem Karton in den dunkel werdenden Nachmittag hinaustrat.
»Ja«, sagte ich matt. Dann ging ich zum Auto. Ich kam gerade noch vom Gelände des Karolinska-Instituts herunter, dann musste ich am Straßenrand halten und mich übergeben.
KAPITEL 37
Ich war völlig erledigt, als ich wieder in der Pension ankam. Mein Verstand riet mir, etwas zu essen. Ich hatte den ganzen Tag nichts zu mir genommen, nur ein Stück Weihnachtskuchen zum Frühstück, in Birgittas Wohnung, und selbst das lag jetzt in einem Straßengraben im Tomtebodavägen. Aber ich hatte keinen Appetit mehr, trotz des hohlen Gefühls im Bauch.
Birgitta, großer Himmel. Erst heute Morgen war das gewesen? Es kam mir schon vor wie in einem anderen Leben. Und gestern hatte ich ihr von der Schlechtigkeit der Welt gepredigt, ohne deren wahres Ausmaß auch nur zu ahnen.
Zuallererst nahm ich eine Dusche, brühheiß und so lange, wie ich es aushielt. Ich hatte das unbändige Bedürfnis, mir den Ekel abzuwaschen, die Verderbtheit aus dem Leib zu spülen, die in mich hineingekrochen war bei dem, was ich gesehen und gehört hatte. Ich stand unter dem heißen Strahl, der meine Haut rötete, sie fast kochte, und wäre am liebsten nie wieder darunter hervorgetreten. Als ich, halb bewusstlos von der Hitze und dem Dampf, aus der Wanne trat, hätte ich um ein Haar den Duschvorhang mitgerissen. Ich musste mich am Waschbecken festhalten und eine Weile auf dem Badewannenrand sitzen bleiben, ehe die schwarzen Schleier vor meinen Augen wieder schwanden.
In meinem Zimmer drehte ich die Heizung voll auf, aber sie wurde trotzdem nur lauwarm, und das half natürlich überhaupt nichts gegen den Zug durch das Fenster und das lächerliche Stück Plastikfolie. Ich zog alles an, was Wärme zu geben versprach, hüllte mich in die Decke und setzte mich auf das Bett, ohne die geringste Ahnung, was ich jetzt tun sollte.
Ich zog Hungerbühls Unterlagen hervor, begann ziellos zu lesen, sah nur graue Linien und sinnlose Buchstaben, ließ alles wieder sinken. Das hatte keinen Zweck. Ich war außerstande, irgendetwas aufzunehmen.
Ich hatte mich übernommen. Was war ich großspurig gewesen im Gefängnis, als Hans-Olof mit seiner Geschichte angekommen war! Ich hatte im Ernst geglaubt, ich müsse nur hinausgehen und losmarschieren, und schon würde ich ihnen das Handwerk legen! Wie lächerlich! Diejenigen, die hinter alldem steckten, waren viel zu mächtig, und sie waren daran gewöhnt, mächtig zu sein. Man konnte ihnen nichts anhaben. Sie waren eine geheime Bruderschaft, die den ganzen Planeten im Griff hielt wie eine millionenarmige Krake. Es gab kein Entkommen. Es gefiel ihnen, den Schein aufrechtzuerhalten, nur deshalb lebte Hans-Olof noch, nur deshalb lebte vielleicht sogar Kristina noch. Aber wenn der Zweck erfüllt war, würden sie die beiden zerquetschen wie lästige Wanzen. Und ich, ich würde genau nichts dagegen machen können.
Es klopfte an der Tür, und ohne eine Aufforderung abzuwarten, kam Tollar Liljekvist hereingeschlüpft, mein verrückter Zimmernachbar. Ich konnte die Papiere gerade noch unter der Matratze verschwinden lassen.
Er hatte die Augen weit aufgerissen. Er sah aus wie ein Kind, das sich seit Wochen auf Weihnachten gefreut hat und endlich den geschmückten Baum zu sehen bekommt.
»Ich habe noch keine Gelegenheit gehabt, mich zu bedanken«, flüsterte er, während er die Tür leise hinter sich schloss. Er trug irgendetwas bei sich, ein großes Buch oder so. »Vielmals zu bedanken, dass Sie es mir erspart haben, auf der Straße zu landen. Wissen Sie, für jemanden wie mich ist es nicht leicht, und Ihre Hilfe kam wirklich in letzter Minute. Ich muss mich bedanken, vielmals bedanken bei Ihnen.«
Auch das noch! Gerade jetzt, wo ich nichts so dringend brauchte wie meine Ruhe. »Schon gut«, winkte ich ab, »das war doch nicht der Rede wert.
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