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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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für asiatische Keramik und Seidenmalerei. Im Wohnzimmer stand ein Monstrum von Fernseher. Die Küche war riesig, das Esszimmer bot Platz für wenigstens zwölf Personen. Alles war peinlich aufgeräumt, sodass ein Katalog für Goldschmuck aller Art, der auf einer Kommode im Flur lag, richtig auffiel.
    Auch das Arbeitszimmer konnte sich sehen lassen. Es war in schwarzem Tropenholz gehalten, mit schweren Vorhängen an den Fenstern, die ich zuzog, ehe ich die Schreibtischlampe anknipste. Die vergoldet war, wie es schien, genau wie die Ablage für Bleistifte, Kugelschreiber und einen teuren Füllhalter. Es herrschte eine für einen Wissenschaftler höchst untypische pedantische Ordnung. In den Regalen prangten ledergebundene Buchrücken, auf einem Tisch neben einem schweren Ledersessel lagen naturwissenschaftliche Fachzeitschriften in verschiedenen Stadien der Durcharbeitung, amerikanische Zeitschriften über Zellphysiologie, aber natürlich auch das Übliche, »Nature« und »Science«.
    Hinter dem wuchtigen Schreibtisch zu sitzen war, als steuere man einen Ozeandampfer. Man versank regelrecht im Schreibtischsessel. Professor Bosse Nordin gehörte erfreulicherweise zu den Menschen in gehobener Stellung, die es fertig bringen, ohne ihren Terminplaner in den Urlaub zu fahren. Das gute Stück lag rechter Hand, ein gewichtiges Teil, in Hirschleder gebunden, wenn ich mich nicht irrte: Einen ähnlichen Planer hatte ich zuletzt in Händen gehalten, als ich dem Vorstandsvorsitzenden eines deutschen Automobilkonzerns einen Besuch abgestattet hatte.
    Ich blätterte das Telefonnummernverzeichnis durch, zückte mein eigenes Notizbuch und notierte Namen, Nummern und Adressen, die ich nachprüfen wollte. Natürlich waren auch die Kontonummern interessant, insbesondere die ausländischen. Praktischerweise hatte Professor Bosse Nordin gleich daneben alle notwendigen Geheimnummern, Passwörter und PIN-Codes vermerkt. So etwas freut uns berufsmäßige Informationsbeschaffer immer ganz besonders.
    Einen Moment erwog ich, einfach den ganzen Terminkalender mitzunehmen, aber mein Instinkt riet mir ab. In den kommenden Tagen mochte viel, wenn nicht alles davon abhängen, ob die Hintermänner von Kristinas Entführung Verdacht schöpften oder nicht.
    Nachdem ich den Adressteil durch hatte, widmete ich mich dem Kalender. Er enthielt das Übliche – Besprechungstermine, zu besorgende Dinge, Seminare, Einladungen zu Symposien, hastig hingekritzelte Hoteladressen, Namen von Ansprechpartnern, Nummern von Flügen. Ich blätterte rückwärts, suchte in der Zeit um Kristinas Entführung herum nach verdächtigen Einträgen. Doch ausgerechnet da war der Kalender eigentümlich lückenhaft. So war beispielsweise die Trauerfeier überhaupt nicht eingetragen; an dem fraglichen Tag stand Vasamuseet mit F., 14 Uhr im Tagesplan. Ich fand auch keinen Eintrag zu der Verabredung mit Hans-Olof, die dieser erwähnt hatte, stattdessen fehlte das betreffende Kalenderblatt völlig.
    Rätselhaft. Ich starrte den Kalender an und versuchte, mir einen Reim darauf zu machen. Aber ich hatte nicht den Schatten einer Ahnung, was das alles zu bedeuten haben mochte.
    Weiter. Die Schubladen. Ich fing rechter Hand an. Die meisten Leute sind Rechtshänder, und für die ist die rechte oberste Schublade ihres Schreibtisches die wichtigste.
    Diese hier enthielt einen Ablagekorb mit allerlei Belegen in verschiedenen Klarsichthüllen, auf denen Etiketten mit Nummern klebten. Obenauf lag eine Reiserechnung, gebucht und bezahlt mit Kreditkarte. Es ging nach Thailand. Herr und Frau Nordin waren in einem Hotel in Bangkok eingebucht, ferner standen drei »Spezial-Erlebnis-Rundfahrten« auf dem Programm.
    Ich legte die Rechnung zurück und horchte in mich hinein, wo eine Art Alarmglocke angefangen hatte, erste zaghafte Töne von sich zu geben. Gut, Bosse Nordin hatte es mit Asien, das sah man an der Wohnung, aber trotzdem klingelte da etwas bei mir. Da roch etwas nach Rauch, nach brennender Lunte …
    Draußen fuhr ein Auto vorbei, dessen Reifen ein knirschendes Geräusch machten, das mich alarmierte. Ich ging zum Fenster, spähte hinaus. Das Auto war vorübergefahren, aber ich sah etwas anderes: Es hatte zu schneien begonnen, und wie! Dicke Flocken fielen, ein Schneeeinbruch, wie er im Buche stand. Ich musste mich beeilen. Zumindest musste ich das Haus verlassen, ehe der Schnee aufgehört hatte zu fallen, sonst würde man prächtigste Spuren von mir finden, was nun wirklich unnötig

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