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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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wie gebannt zu, schien den Bildschirm mit ihren Blicken durchbohren zu wollen und alles um sich herum vergessen zu haben. Ich ließ mich seufzend auf die Couch sinken. Lang konnte es ja nicht mehr dauern.
    Mit der Frage, was sie an der Erforschung des Sex besonders interessiert habe, ging es abrupt auf berufliches Terrain.
    »Eigentlich nichts«, erwiderte die Hernández schmunzelnd.
    »Nichts?«, wunderte sich die Interviewerin. Sie hatte eine Frisur, die außerhalb eines Fernsehstudios lachhaft gewirkt hätte, und trug ein plastikhaftes Lächeln zur Schau. »Aber Sie haben vor vielen Jahren Ihren ersten Lehrstuhl in Spanien aufgeben müssen, und das wegen einer Forschungsarbeit über sexuelle Reaktionen, die in den Augen der Öffentlichkeit zu weit ging. Eine der Arbeiten, für die Sie kommenden Mittwoch den Nobelpreis erhalten.«
    »Ja«, nickte die Professorin. »Aber mein Ziel war die Erforschung der Verschaltung unseres Hormonsystems mit unserem Nervensystem. Einen sexuellen Reiz habe ich nur eingesetzt, weil ich eine möglichst starke hormonelle Reaktion brauchte.« Sie faltete bedächtig die Hände. »Mein eigentliches Forschungsgebiet war damals die Funktionsweise der Narkose.«
    Davon hatte die Interviewerin ganz offenbar noch nie gehört. »Narkose?«, wiederholte sie, klimperte mit den Augendeckeln und fing an, ihre Karteikarten durchzublättern. »Das ist aber doch denkbar weit weg von Sex, möchte ich meinen, oder etwa nicht?«
    Die Hernández neigte den Kopf ein wenig zur Seite. »Das hängt von der Betrachtungsweise ab. Wenn Sie sich nur fragen, warum ein Narkosemittel bewusstlos macht, ja.« Sie wirkte beeindruckend souverän, musste ich eingestehen. Sie hätte eine gute Königin abgegeben. »Aber ich stelle mir eine völlig andere Frage. Ich frage: Wie kommt es überhaupt, dass wir wach sind? Das ist die fundamentalste Frage, die es gibt. Und erst wenn wir verstehen, was Wachheit ist, werden wir auch verstehen, was Narkose ist.«
    Die Moderatorin lächelte unsicher. »Ah ja. Einleuchtend.«
    Dann beschloss sie offenbar, dass der Zielgruppe damit genug Nachdenken zugemutet worden war. »Darf ich Ihnen zum Schluss noch eine persönliche Frage stellen?«, fuhr sie fort, als hätte sie die ganze Zeit etwas anderes getan.
    »Bitte«, erwiderte die künftige Nobelpreisträgerin.
    »Glauben Sie bei alldem eigentlich noch an die Liebe? Oder ist Liebe für Sie nur ein Spiel der Hormone?«
    Sofía Hernández Cruz hob die Augenbrauen, und ein feinsinniges Lächeln umspielte ihre Lippen. »Ja«, sagte sie mit einem sanften Nicken. »Ich glaube an die Liebe. Was ich erforsche, ist nur, wie sie sich in unserem Körper manifestiert.«
    »Ein schönes Schlusswort«, freute sich die Interviewerin und drehte sich, sichtlich erleichtert, der Kamera zu. »Damit, liebe Zuschauerinnen …«
    Birgitta schaltete den Ton ab. »Sie weiß es nicht«, erklärte sie ebenso kategorisch wie rätselhaft.
    »Wer?«, fragte ich, als auch nach beträchtlichem Schweigen keine weitere Aufklärung folgte. Man sah Sofía Hernández Cruz im Hintergrund des Bühnenbilds mit einem Techniker plaudern, der ihr das Mikrofon von ihrem beachtlichen Busen entfernte. » Wer weiß was nicht?«
    »Sie. Die Wissenschaftlerin. Sie hat nicht die geringste Ahnung von dem ganzen Komplott.«
    »Meinst du?«
    »Eine Frau spürt so etwas«, behauptete Birgitta und sah mich kämpferisch an, mit jedem Zoll ihres Körpers ausdrückend: Wage es nicht, anderer Meinung zu sein!
    Aber ich war gar nicht anderer Meinung. »Kann gut sein. Sie ist auch nur eine Figur in einem Spiel, bei dem es um etwas ganz anderes geht.«
    Birgitta tippte sich nachdenklich mit der Fernbedienung gegen das Kinn. »Hast du dir mal überlegt, mit der ganzen Geschichte zu einer Zeitung zu gehen? Ich meine, was würde passieren, wenn der ganze Skandal morgen früh auf allen Titelseiten stünde?«
    »Die Entführer würden Kristina umbringen und verscharren und alle Spuren beseitigen, damit ihre Auftraggeber alles dementieren können«, erwiderte ich. »Abgesehen davon ist das nicht so einfach, wie du dir das vorstellst. Es hat schon einmal ein junger Journalist versucht, in diese Richtung zu ermitteln, und kurze Zeit später war er tot.« Ich erzählte ihr in knappen Worten die Geschichte von Bengt Nilsson, dem Reporter des SVENSKA DAGBLADET.
    Birgitta schaltete den Fernseher mit einer zornigen Bewegung der Fernbedienung aus. »Das kann doch nicht sein«, rief sie. »Es kann nicht sein,

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