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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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wär’s. Das geht pauschal, und die Wohnungsgesellschaft bescheißt alle Mieter gleichmäßig. Swolotsch! «
    Auf jedem Bildschirm lag, fein säuberlich ausgebreitet, aber seit Monaten nicht entstaubt, ein Spitzendeckchen und darauf je ein Bergkristall. Für Dimitri war die gesundheitsfördernde Wirkung von Kristallen gesicherte Tatsache. An der Wand darüber hingen seine Ikonen: Jesus in Blau auf Gold, die heilige Maria in Rot auf Gold, vielleicht auch umgekehrt. Er hat es mir unzählige Male erklärt, aber ich habe es mir nie merken können, und die Gesichter auf den Ikonen sehen für meine atheistischen Augen alle gleich aus.
    Es roch einigermaßen muffig, nach schlechter russischer Küche, Kartoffeln und Kraut und einer undefinierbaren Ingredienz, von der ich nie herausgefunden hatte, was es war. Inzwischen legte ich auch keinen Wert mehr darauf, es je herauszufinden.
    »Du könntest ab und zu lüften«, schlug ich vor.
    »Hast du eine Ahnung«, maulte er, damit beschäftigt, die unvermeidliche Flasche Wodka samt Gläsern zur Begrüßung hervorzuholen. »Dann kommen Abgase herein, ich kriege Lungenkrebs und sterbe. Da lasse ich die Fenster lieber zu.«
    »Vielleicht solltest du aufhören zu rauchen, wenn du Angst vor Lungenkrebs hast.«
    »Ich werd drüber nachdenken, sobald ich Zeit habe«, versprach er und schenkte die Gläser voll. Es waren sogar zwei gleiche Gläser. Alles in allem hatte er sich deutlich verbessert, seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte.
    »Das ist noch gar nichts«, winkte er nach unserem ersten Glas ab und schenkte wieder voll. »Ich habe inzwischen sogar ein Auto. Einen alten Saab. Macht hundertvierzig Kilometer pro Stunde und braucht vierzehn Liter. Vielleicht auch umgekehrt, so genau habe ich das noch nicht ausprobiert. Nazdarowje! «
    Ich weiß nicht, was die Russen an Wodka finden. Grauenhaftes Zeug.
    »Du hast doch gar keinen Führerschein«, wandte ich ein.
    »Na und? Ich habe ja auch keinen Ausweis. Also darf ich mich sowieso nicht erwischen lassen. Wozu dann ein Führerschein?«
    Ich winkte ab, als er zum dritten Mal voll schenken wollte. Immerhin hatte ich heute noch vor, einzubrechen, und ich durfte mich auch nicht erwischen lassen. »Und wie bist du an das Auto gekommen? Ich meine, so was muss man doch anmelden, versichern und so weiter.«
    »Läuft alles auf eine gute Bekannte. Wohnung, Auto, Telefon – alles.«
    »Eine Bekannte. So, so.«
    Er hob die Finger zum Schwur. »Bei allen Heiligen, nur eine Bekannte. Ich habe sie in der Kirche kennen gelernt.«
    Unnötig, dass er das erwähnte. Dimitri lernte alle Leute, mit denen er zu tun hatte, in der Kirche kennen. »Sie wäre auch gar nicht mein Typ. Eine kleine, dralle Dunkelhaarige. Sie ist Libanesin oder Syrerin, ich weiß nicht genau. Jedenfalls, sie lebt bei ihrem Freund, und ihre Eltern dürfen nichts davon wissen. Also muss sie offiziell in dieser Wohnung hier wohnen bleiben. Unsere Bedürfnisse ergänzen sich bestens: Ich zahle ihr die Miete und darf nur niemandem die Tür aufmachen und nicht ans Telefon gehen. Aber dazu habe ich sowieso keinen Grund; bei mir geht alles übers Internet. Noch einen?« Er hob die Flasche.
    »Nein. Wirklich nicht.«
    »Wie du willst.« Er stellte sein Teufelszeug samt Gläser weg.
    »Dann erzähl mal.«
    Ich erzählte, und ich war schnell fertig damit. Von Kristinas Entführung brauchte er nichts zu wissen. Ihm von der Erpressung zu erzählen wäre höchst leichtsinnig gewesen. Meine vorzeitige Entlassung stellte ich als Verwaltungsakt dar, der für mich selber überraschend gekommen war. Und dann erzählte ich ihm von der Diskette und dem geheimnisvollen JAS -Projekt.
    »Ja, ich habe auch gehört, dass der Platz in den Gefängnissen knapp wird«, bestätigte Dimitri. »Leider hindert sie das nicht, weiter nach Leuten zu suchen, die sie hineinstecken können.«
    »Mach dir keine Hoffnungen«, sagte ich. »Dich würden sie im Handumdrehen nach Russland abschieben. Mehr als eine Nacht in den überheizten Anstalten König Carls XVI. Gustaf ist für dich nicht drin.«
    Er wiegte bekümmert das Haupt. »Das ist wahr. Es war dumm von mir, den Bogen zu überspannen, nachdem so lange alles so gut gelaufen ist. Zugegeben, ich habe ein paar Dinger gedreht, die waren einfach zu viel … Tut mir Leid, dass ich nicht da war. Wenn ich geahnt hätte, dass du früher rauskommst, hätte ich natürlich jemandem Bescheid gesagt, damit du mich findest.« Er gab seinem Sessel einen Stoß und rollte zu

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