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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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einem der Computer, griff nach der Maus und startete ein Programm. »Hast du die Diskette dabei?«
    Ich zog sie aus der Hemdtasche und reichte sie ihm. »Nicht, weil ich ernsthaft damit gerechnet hatte, dich zu finden, sondern weil ich keinen anderen Platz habe, an dem ich sie lassen könnte.«
    »Ich kenne das«, meinte er und schob sie in einen angekokelt aussehenden Schlitz. Es gab ein Geräusch, als würde sie dahinter in Scheiben gehäckselt. » JAS.DOC, ist das die Datei?«
    »Siehst du eine andere?«
    »Weiß man nie.«
    »Du bist der Fachmann, nicht ich. Mach einfach alles lesbar, und wir werden keinen Streit kriegen.«
    Er versuchte zuerst, die Datei auf normalem Wege zu öffnen, scheiterte aber genauso wie ich damals in dem Computergeschäft in Södertälje. »Mit Passwort versehen«, nickte er. »Kein Problem …« Er startete irgendwelche Programme, fing an, mit den Knien zu wippen und auf seiner Oberlippe zu kauen und stieß nach einer Weile unartikulierte Grunzlaute aus.
    »Doch ein Problem?«, fragte ich.
    »Ich habe gewöhnliche Passwortknacker für Standardsoftware, aber die funktionieren nicht. Ungewöhnlich, kommt aber vor. Was heißt, dass wir mit ungewöhnlichen Passwortknackern weitermachen müssen.« Er bedachte mich mit einem flüchtigen Grinsen. »Als hätte ich’s geahnt – erst neulich habe ich so ein geiles Teil heruntergeladen, von ein paar jungen Indern programmiert. Die sind fit, die Jungs da unten, das kannst du mir –«
    Ein kurzer, zweistimmiger Brummlaut aus dem Lautsprecher ließ ihn erstarren. Ich konnte förmlich zusehen, wie die Welt um ihn herum versank, wie er alles vergaß, mich eingeschlossen, und nur er und der Bildschirm übrig blieben. Wahnsinnig interessante Dinge mussten da stehen, aber ich blieb sitzen, wo ich war, denn ich war mir sicher, dass ich nicht das Geringste davon kapieren würde.
    Dimitri war älter geworden, hatte sich aber kaum verändert. Immer noch wirkte er, als verhindere etwas in seinem Körper, dass Nährstoffe höher als bis zum Brustbein stiegen: Alles darüber schien verkümmert und am Verhungern. Seine Schultern waren schmal, auf den Schläfen blühten Pickel, und seinen Bartwuchs konnte man nur als kümmerlich bezeichnen.
    Er kehrte mit einem russischen Kraftausdruck in die Welt der Materie zurück. »Heiß«, war sein Kommentar. »Höllisch heiß. Das ist mit einem echten Profitool verschlüsselt. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich das schon einmal gesehen habe. Nicht bei Businessleuten. Ich weiß nicht, wer diese Datei angelegt hat, aber er muss echt was zu verbergen haben.«
    Das war nicht genau das, was ich zu hören gehofft hatte.
    »Und was heißt das? Kriegst du sie geknackt oder nicht?«
    »Geduld, moj drug « , brummte er und ließ die Finger über die Tastatur tanzen. »Das kann ich jetzt noch nicht so genau sagen. Aber wenn es jemanden in diesem Land gibt, der hinter das Geheimnis von JAS.DOC kommt, dann wird es Dimitri Kurjakow sein.«
    Die Bildschirme der übrigen Computer erwachten zum Leben. Fenster gingen auf, Programme starteten, Festplatten fingen an zu rattern, und gleich darauf zuckten farbige Balken auf, wechselten Beschriftungen in irrem Tempo, erfüllte auf einmal elektronische Hektik den Raum.
    »Darf man wissen, was du da machst?«
    »Das nennt man eine brute-force- Attacke , parallel verteilt«, sagte Dimitri, als sei damit alles gesagt. »Sollte die Lösung finden. Aber – es kann dauern.«
    »Dauern, aha. Und wie lange?«
    Schulterzucken. »Ein, zwei Tage? Ein, zwei Wochen? Ein, zwei Jahre? Keine Ahnung. Das kann man nicht vorhersagen.«
    »Ich habe keine zwei Wochen Zeit. Ich habe nicht mal zwei Tage Zeit.«
    Dimitri nickte und zündete sich eine Zigarette an. »Weiß ich. Aber man muss der Sache eine Chance geben. Es hängt davon ab, wie raffiniert das Passwort gewählt ist. Ob es aus großen und aus kleinen Buchstaben besteht oder nur aus einer Sorte. Ob es auch Sonderzeichen und Ziffern enthält.« Er sah auf die Uhr an der Wand. »Ein Passwort aus sechs Kleinbuchstaben wäre jetzt schon geknackt.« Er deutete mit dem Daumen auf den Rechner, vor dem er saß. »An dieser Kiste probiere ich nebenher aus, was sich mit Köpfchen erreichen lässt. Falls dich das beruhigt.«
    »Ich weiß nicht, ob mich das beruhigt«, sagte ich. Mir war in der Zwischenzeit wieder eingefallen, womit ich mir die Nacht um die Ohren schlagen wollte. So vage wie möglich und so genau wie nötig umriss ich, was ich vorhatte.
    Dimitri

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