Der Nobelpreis
schnappte nach Luft. »Du willst in die Nobelstiftung? Bist du noch zu retten?«
»Es muss sein«, sagte ich, ohne weiter auszuführen, warum. So genau wusste ich das schließlich selber nicht. Ich deutete auf seinen Rechner. »Kannst du an Grundrisse von dem Gebäude kommen? Ich würde gern vorher einen Blick hineinwerfen, damit ich eine Vorstellung habe, was sich wo befindet.«
»Kinderkram«, sagte Dimitri. »Das hättest du in jedem Internetcafé haben können.«
Ich runzelte die Stirn. »Was ist ein Internetcafé?«
»Ach ja. Das habe ich vergessen, verzeih. Du kommst ja aus der Steinzeit.« Er zog noch einmal kräftig an seiner Zigarette und legte sie auf den Rand eines überquellenden Aschenbechers, auf dem sie langsam glimmend vollends in Rauch aufgehen würde. Mit ein paar Klicks startete er ein Programm, das ich nach einem Lichtbildervortrag, den man uns Knastbrüdern hatte angedeihen lassen, als Internet-Suchprogramm wieder erkannte. »Na also, wie ich es mir gedacht habe«, meinte Dimitri. »Schau, hier. Die Nobelstiftung hat unter der Adresse www.nobel.se eine hübsche Homepage. Wenn mich nicht alles täuscht, was natürlich immer sein kann … Nein, hier, schau: Virtueller Rundgang durch die Stiftung. Das können wir uns jetzt einmal anschauen.«
Mit kaum zu beschreibender Verblüffung verfolgte ich, wie ein Fenster aufging, in dem die Nobelstiftung höchstselbst mir alles bot, wonach ich gesucht hatte. In der oberen Hälfte zeigte ein Bild die Vorderfront des Gebäudes, aber man brauchte es nur anzuklicken, um einen Blick ins Innere werfen zu können. Am unteren Rand wurden, wie praktisch, gleich die Grundrisse des Erdgeschosses und des ersten Stocks gezeigt. Ich erfuhr, dass das Gebäude 1920 von dem Architekten Ragnar Hjort erbaut und 1970 von einem gewissen Peter Celsing erneuert worden war: Solche scheinbar belanglosen Angaben sind in meiner Laufbahn schon oft Gold wert gewesen, wenn es darum ging, genauere Informationen über ein Firmengebäude einzuholen. Mehr als einmal bin ich zur Vorbereitung des eigentlichen Einbruchs in die Büros der Architekten eingedrungen, um dort die zugehörigen Baupläne zu studieren.
Hinter der Vordertür begann ein langer, an ein Pharaonengrab erinnernder Flur. Man ging an vier Mauernischen mit Statuen darin vorbei – aus Bronze, wie ein begleitender Text beflissen erklärte – und stand am Ende vor einer großen Marmorbüste Alfred Nobels, der einen mit jenem ernsten, depressiven Gesichtsausdruck ansah, den man aus den Büchern kennt. Linker Hand ging ein Treppenhaus in den ersten Stock hoch, das eigentliche Büro der Nobelstiftung.
»Geh noch mal zurück«, sagte ich. »In den Flur. Da, was ist das?« Man konnte die Bilder durch Anklicken und Ziehen dazu bringen, zur Seite zu schwenken, so, als steuere man eine imaginäre Videokamera. »Diese Türen da, wo führen die hin?«
Entlang der linken Wand des Flurs reichten drei schmale Fenster bis zum Boden, und mindestens eines davon war, wie man sehen konnte, eine Tür in einen Innenhof. Dimitri klickte darauf, und schon wechselte der Blick nach »draußen«. Ein Teil des nicht sehr großen Hofes wurde von einem Springbrunnen beansprucht, in einer sonnigen Ecke standen grüne Gartenmöbel. Das Bild war natürlich im Hochsommer aufgenommen worden, und in der Zeit, verriet der Text, war das bei den Angestellten der Stiftung ein beliebter Platz für die Kaffeepausen.
Mir gefiel er auch immer besser, je länger ich das Bild studierte.
»Kannst du das vergrößern?«, fragte ich und deutete auf eine verwaschene, dunkle Stelle an der Tür. »Ich würde gern aus der Nähe sehen, was das für ein Schloss ist.«
» Da « , nickte Dimitri und klickte ein bisschen, ohne dass sich etwas tat. »Das geht nicht so einfach. Aber warte.« Ich verstand nicht genau, was er machte; er schien das Bild mit Hilfe eines anderen Programms aus dem Internetbrowser herauszunehmen, um es in einem dritten Programm – dessen Menüleiste kyrillisch beschriftet war – nachzubearbeiten: Teile des Bildes vergrößern, Helligkeit, Farben und Schärfe verbessern und so weiter. »Die Software hat mir ein guter alter Freund geschickt, der bei RSC Energija angestellt ist. Damit bearbeiten sie die Bilder nach, die die Raumsonden liefern. Die Algorithmen darin sind besser als alles, was die Amis haben«, erklärte er kichernd.
Das Programm holte in der Tat Erstaunliches aus dem kleinen Bild heraus. Die Vergrößerung wurde nicht so scharf,
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