Der Nobelpreis
meinen Rucksack und ging.
Meine Haltestelle war Östermalmstorg, aber als ich mich eine Station vorher zum Aussteigen bereitmachte, stiegen unvermittelt zwei Securityleute ein, vor meiner Nase. Ich stand neben ihnen an der Tür, als der Zug weiterfuhr, und fühlte mein Herz bis in die Fingerspitzen schlagen. Ich hätte sie anfassen können.
Es waren zwei junge Leute, ein Mann und eine Frau in grauen Uniformjacken, wobei der Junge nur ein Funkgerät, einen Schlagstock und ansonsten leere Gürtelschlaufen hatte, also eindeutig der Lehrling war. Die Frau, klein und stämmig, in der Jacke beinahe dick wirkend, war dagegen voll bepackt, trug eine mächtige Taschenlampe und dicke Schlüsselbunde am Gürtel und ein klotziges Mikrofon auf der Brust. Mit dem Mikrofon war sie schwer beschäftigt. Es schien nicht richtig zu funktionieren; sie sprach mit irgendjemandem, der nach einer Zentrale klang, und musste sich dabei jedes Mal verrenken, weil sie das eigentliche Funkgerät auf dem Rücken trug. Der Junge fummelte an dem Spiralkabel herum, das vom Mikrofon dorthin führte, bekam es aber auch nicht hin. Augen für ihre Umgebung hatten sie jedenfalls nicht, und dass sie unmittelbar neben einem Mann standen, der womöglich Kriminalgeschichte zu schreiben im Begriff war, würden sie nie erfahren.
Bis Östermalmstorg hatte sich mein Kreislauf wieder beruhigt. Ich stieg mit ihnen aus, als ob nichts wäre, und nahm auf dem Bahnsteig dann die Richtung, in die sie nicht gingen. Mit jedem Schritt, der mich von ihnen entfernte, stieg der Grad meiner Erleichterung: Unsinn, sagte ich mir. Die beiden waren unterwegs, um in den U-Bahnen für Ordnung zu sorgen, hatten es auf Graffitisprayer, Besoffene und vielleicht den einen oder anderen jugendlichen Drogendealer abgesehen. Für das, was ich vorhatte, bedeutete diese Begegnung nicht das Geringste.
Ein runder Saal mit hoher, brauner Kuppel. Ein Gang, ein Kiosk, ein Blumengeschäft, vor dem Rollgitter heruntergelassen waren. Die letzten beiden Läden vor dem Aufgang zur Straße waren aufgegeben, die Schaufenster beschmiert, und die Rolltreppe klopfte einen Rock’n’-Roll-Rhythmus. Es roch nach Urin und Zigarettenrauch, aber man näherte sich der Oberfläche, die Kälte der Nacht drückte herunter, biss in die Schleimhäute der Nase und betäubte alle Geruchsempfindungen.
Oben musste ich mich erst orientieren. Wenn ich aus einer U-Bahn-Station steige, weiß ich nie, wo welche Himmelsrichtung ist. Ein großer Platz, eine Kirche, von orangefarbenen Scheinwerfern angestrahlt, ein großes Schaufenster mit Bädern, Bettwäsche und Nachthemden. Ich wollte zur Linnégatan, die geradeaus zur Sturegatan führt, und mich der Stiftung von oben her nähern. Passanten gingen um mich herum, nahmen keine Notiz von einem Mann mit einem schwarzen Rucksack, der Straßenschilder las.
Es war Nacht, es war dunkel, und die Straßenbeleuchtung war allenfalls gut gemeint zu nennen: Trotzdem schienen die wenigen Farben, die ich in den Leuchtreklamen ausmachte, an Hauswänden und in Fenstern, regelrecht von innen heraus zu leuchten, geradezu zu glühen. Alle Geräusche, die an mein Ohr drangen, waren von kristalliner Schärfe: das Knistern des Schnees unter den Reifen vorüberfahrender Autos, das Rollgeräusch auf dem Kopfsteinpflaster darunter, die Stimmen und das entfernte Gelächter. Das Zuschlagen einer Autotür: ein Laut von donnernder Wucht. Und ich spürte jede Faser meines Körpers, fühlte jeden Muskel arbeiten, jedes Gelenk sich bewegen. Was war mit mir los?
Einen Moment erwog ich ernsthaft die Möglichkeit, dass Birgitta mir irgendeine Droge ins Essen gemischt hatte. So ähnlich musste es sein, wenn man high war, zumindest den Beschreibungen nach, die ich gelesen hatte.
Gut, ich war bei meinen nächtlichen Aktionen immer in einem Zustand besonderer Wachheit gewesen, aber das hier fühlte sich anders an. War es, weil dies ohne weiteres meine letzten Stunden in Freiheit sein konnten, meine letzten Schritte als freier Mann durch Stockholm? Ich blickte in die leeren Erdgeschossfenster von Investmentfirmen und glaubte, gigantische Aquarien zu sehen. Ich hörte das Klappern eines Schlüsselbundes, mit dem jemand die Tür eines Büros abschloss, und meinte das Rasseln von Ketten zu hören. Der Adrenalinschub von eben hatte mir den Rest gegeben, wie es aussah.
Endlich, die Sturegatan. Der Humlegården war ein Spielfeld dunkler Schatten, die Königliche Bibliothek hell angestrahlt, kahle Bäume
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