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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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standen vor nächtlich-düsterem Schnee. Auch die Front der Nobelstiftung war ausgeleuchtet, strahlte eindrucksvoll bis hoch zur Dachtraufe.
    Es ging los. Vorbei an dem Schaufenster mit Lobpreisungen des Urlaubslandes Marokko, das Pickset griffbereit. Helles Lachen, zwei Paare mittleren Alters, die mir entgegenkamen, mich aber keines Blickes würdigten. Ich öffnete die schmale, dunkle Tür in der Ecke, auf der TILL KÖKET stand, zog sie hinter mir zu und blieb erst einmal atemlos in der Dunkelheit stehen.
    Der Lichtschalter. Er bewirkte immer noch nichts, also die Taschenlampe. Ich leuchtete die Wände ab, den Boden, die Decke, während ich langsam weiterging. Ein Fahrrad war hier abgestellt und, wie es schien, vergessen worden: Sein Sattel war verstaubt, seine Reifen luftleer, und die Speichen setzten Rost an. Ein paar Kartons daneben, schlampig aufeinander gestapelt die untersten in sich zusammengesunken und an den Kanten angefressen. Die Tapete des Flurs wies umso mehr Stockflecken auf, je weiter ich nach hinten kam.
    Zwei Türen gab es hier. An der linken Wand eine breite, mit Mennige gestrichene Stahlschiebetür zu einem größeren Raum im Hintergrund des Hauses – vermutlich die auf der Vordertür erwähnte köket, die sicher längst nicht mehr als Küche diente. Die am Boden montierte Führungsschiene wies jedenfalls deutliche Rostspuren auf, die ein regelmäßiger Gebrauch der Schiebetür abgeschliffen hätte. Genauso vergessen wirkte die hölzerne Türe, die geradeaus in den Hinterhof führte. Sie war mit einem ungeheuren Vorhängeschloss gesichert, und es weckte nostalgische Erinnerungen, mal wieder so was zu öffnen. Das hatte mir schon als Achtjährigem keine Probleme mehr bereitet. Ich glaube, jeder im Waisenhaus hat das gekonnt; anders wäre man verhungert.
    In der geöffneten Tür blieb ich erst einmal stehen, lauschte und beobachtete mit aller Geduld, die ich aufzubringen imstande war. Ein Innenhof. Innenhöfe, insbesondere wenn die umliegenden Häuser bewohnt sind, stellen für jemanden wie mich die denkbar unangenehmste Umgebung dar. Aus Fenstern und von Balkonen herab kann man buchstäblich von hundert Augen gesehen werden, ohne es auch nur zu bemerken, denn selber sieht man rein gar nichts.
    Aber es war Sonntagabend, es war Winter, und es war kalt. Ich konnte darauf zählen, dass die meisten Besseres zu tun haben würden, als aus ihren Fenstern zu schauen oder auf Balkons herumzustehen …
    Hoppla! Wenn man vom Teufel spricht … Ich hatte auf halber Höhe der konturlosen Rückfront des Hauses gegenüber einen aufglimmenden, rötlichen Punkt in der Dunkelheit ausgemacht. Das glühende Ende einer Zigarette. Dahinter stand zweifellos ein Raucher, den seine Frau zur Ausübung seines Lasters auf den Balkon geschickt hatte. Zweifellos fror er, und langweilig war es ihm sicher auch. Ich wartete weiter, bis der Punkt noch ein letztes Mal aufglühte und dann in einem weiten Bogen abwärts fiel. Und dann noch einmal eine halbe Minute.
    Nicht schleichen, dieser Grundsatz galt natürlich auch hier. Ich trat ins Freie, versuchte, in meinen Bewegungen ruhig und routiniert zu wirken, zog die Tür hinter mir zu – sie schabte ein wenig am Boden, was dafür sorgte, dass sie auch unverriegelt geschlossen bleiben würde – und ging dann gemessenen Schrittes geradeaus, um das Hinterhaus der Nobelstiftung herum. Alle Fenster des Gebäudes, registrierte ich zu meiner Beruhigung, waren dunkel. Genau, wie ich es erwartet hatte.
    Am hinteren Ende gab es zwei Parkplätze, der eine davon belegt, der andere frei, aber für eine Firma namens FitPack reserviert. Hinter dem Parkplatz bot sich das ärgerliche Hindernis einer etwa zwei Meter hohen Mauer. Es gab kein Tor, keine Tür, keinen Weg darum herum. Ärgerlich, weil ein über eine Mauer kletternder Mann immer verdächtig wirkt, aber was half es? Das musste ich riskieren. Ich bemühte mich, es schnell und leise hinter mich zu bringen.
    Noch einmal zwanzig Meter durch den Schnee. Die Fußspuren waren auch ärgerlich, aber ebenfalls nicht zu vermeiden. Und zum Glück nicht die einzigen. Dann stand ich im Innenhof, der genauso wie auf den Bildern im Internet aussah, nur eben dunkel und verschneit. Die Topfpflanzen fehlten, der Springbrunnen war abgeschaltet und lag voller Schnee, und die grünen Gartenstühle hatte man in der Ecke zusammengeschoben und mit einer Plane bedeckt.
    Immer noch alles dunkel über mir. Ich trat an die Tür mit dem Codeschloss, legte die

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