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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Satans.
    Es klingt absurd, und es kommt mir eigentümlich vor, es hinzuschreiben, aber ich glaube wirklich, ich musste in die Nobelstiftung einbrechen, um dort zu weinen.
    Ich weiß nicht, wie lange ich da auf dem Boden gesessen habe. In meiner Erinnerung ist es eine Zeitspanne, die genauso gut Minuten wie Stunden gedauert haben könnte. Ich weiß nur, dass es irgendwann vorbei war und dass ich mich danach innerlich völlig leer fühlte. Gereinigt, aber zugleich zerbrechlich. In dem Moment, in dem ich aufstand, hatte ich aufgegeben zu kämpfen. Ich würde Kristina nicht wiedersehen. Sie würde sterben, Hans-Olof würde sterben, und auch ich würde sterben, und dann hatte aller Schmerz ein Ende.
    Im Aufstehen streifte mein Blick das Porträt Ragnar Sohlmans, des eigentlichen Begründers der Stiftung, und dabei fiel mir ein, dass der gegenwärtige Stiftungsvorsitzende Michael Sohlman hieß und sein Enkel war. Wie vorbeiziehende Nebelschwaden passierte der Gedanke meinen Kopf, ihm einen Brief zu schreiben. Ich kannte ihn nicht, hatte nur von ihm gehört, und sein Name stand auf dem Türschild. In einer anderen Verfassung als der, in der ich war, hätte es mich interessiert, wie der für das Erbe und Andenken Alfred Nobels Verantwortliche reagiert hätte, wenn er morgen früh sein Büro aufgeschlossen und mitten auf seinem Schreibtisch einen Brief von einem Unbekannten vorgefunden hätte, der den größten Skandal in der Geschichte des Preises schilderte. Hätte er es vertuscht? Oder wäre er damit an die Öffentlichkeit getreten?
    Aber wenn, mit welchen Folgen? Wie hätte der Filz reagiert, die Reichen, die Clique der Strippenzieher, die heimlichen Machthaber der Gesellschaft?
    Es würde Kristina nicht retten. Nichts, was ich tun konnte, würde sie noch retten. Also ließ ich es bleiben.
    In der Rückschau glaube ich jedoch, dass in jenem Moment – ohne dass ich mir dessen bewusst gewesen wäre – die Idee keimte zu dem, was ich später tatsächlich unternahm.
    Ich verließ das Gebäude der Nobelstiftung kurz nach drei Uhr nachts auf demselben Weg, auf dem ich es betreten hatte und, wie ich hoffte, ohne Spuren hinterlassen zu haben. Am Stureplan erwischte ich einen Nachtbus der Linie 96, der Richtung Odenplan fuhr, stieg an der Stadsbiblioteket aus und musste über eine halbe Stunde in der Kälte auf den Anschluss warten, einen Bus der Linie 595, der mich nach Sundbyberg brachte. Als ich Birgittas Wohnung erreichte, kam ich mir vor wie Tiefkühlfleisch. Sie schreckte auf, als ich zu ihr ins Bett kroch, schmiegte sich schlaftrunken an mich, doch dann spürte sie wohl die Kälte, jedenfalls zuckte sie zusammen, rutschte von mir weg und rollte sich ein wie ein Embryo. Ich ließ sie in Ruhe, drehte mich auf die andere Seite und schlief ein.

KAPITEL 44
    Beim Erwachen stellte ich mit nicht geringer Verwunderung fest, dass Birgitta es geschafft hatte, aufzustehen, ohne mich zu wecken. Das hatte noch nie jemand fertiggebracht; ich schlafe normalerweise leicht wie ein Vogel und wache beim kleinsten Anlass auf, der irgendwie beunruhigend sein könnte. Das Schicksal eines misstrauischen Mannes, nehme ich an.
    Aber das Bett neben mir war leer, und die dunklen, blutroten Ziffern des Weckers zeigten kurz vor zehn Uhr. Vielleicht wurde ich alt. Ich wuchtete mich hoch, schlurfte ins Bad, spritzte ein wenig mit Wasser umher und ging weiter in die Küche.
    Heute war nicht gedeckt; nur Birgittas gebrauchtes Geschirr stand auf dem Tisch. Kaffee war noch da, aber nicht in der Thermoskanne, sondern im Glaskrug der kleinen Kaffeemaschine. Die wiederum war ausgeschaltet, und der Kaffee kalt. Auch Kuchen war keiner mehr da; wie es aussah, hatte sie die letzten Reste zum Frühstück gegessen.
    Ich sah mich um, suchte nach einem Zettel, einer Notiz, nach irgendwas, aber da war nichts. Es schien ganz so, als habe sie völlig vergessen, dass ich da war.
    Eigenartig. Ich machte ein paar Schranktüren auf und zu, fand löslichen Kaffee und altes Knäckebrot, das sich schon fast biegen ließ, dazu ein Glas Mullbeermarmelade, die so typisch für Schweden sein soll und die ich trotzdem nicht besonders mag. Aber gut, ein Frühstück war es allemal. Ich setzte Wasser für einen Kaffee auf, räumte Birgittas Geschirr in die Spüle, deckte neu auf und fischte die aktuelle Zeitung aus der Ablage, während ich darauf wartete, dass der Kessel kochte. Es war nichts Besonderes los da draußen, soweit flüchtiges Durchblättern das erkennen ließ. Ein

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