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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Ich tat, was Männer in solchen Situationen tun: Ich versuchte mich zu erinnern, was ich angestellt haben mochte. »Wieso denn auf einmal?«
    Ihr Blick war pures Eis, gefrorene Wut. »Du predigst doch die ganze Zeit, dass die Welt gemein ist, oder? Also gut, soll keiner sagen, ich sei nicht lernfähig. Ich bin ab jetzt auch gemein. Und ich sage: Raus! Verschwinde!«
    Sie schrie es fast, und im gleichen Augenblick brach ihre mühsam aufrecht erhaltene Angriffslust auch schon wieder in sich zusammen. Tränen liefen ihre Wangen hinab. »Vielleicht ist es ja tatsächlich so, wie du sagst, und ich verstecke mich bloß in einem Reservat«, schniefte sie und wischte sich mit der Hand die Augen ab. »Von mir aus. Aber dann will ich da auch meine Ruhe haben. Dann verstecke ich mich eben. Gut, ich gebe es zu. Ich kann nicht leben in so einer Welt. Wenn alles nur Heimtücke und Gemeinheit und Verrat und Gewalt ist, dann will ich damit nichts zu tun haben.«
    Ich war aufgestanden. Es ist riskant, sich Frauen körperlich zu nähern, die sich in einem solchen Zustand befinden, aber ich versuchte es trotzdem, versuchte sie zu umarmen. Wie nicht anders zu erwarten, entwand sie sich mir. »Nicht! Bitte.«
    »Okay«, sagte ich. »Kein Problem. Wenn es dir lieber ist, dann gehe ich.« Ich hatte keine Ahnung, wohin, aber das spielte auch keine Rolle mehr. »Aber warum jetzt auf einmal?«
    Sie drehte sich mit einer heftigen Bewegung um, öffnete den Verschluss der Aktentasche, zog einen Stapel Schreibhefte hervor. »Hier. Das habe ich heute bekommen. Die Schwedisch-Aufsätze, die ich noch korrigieren muss. Kristinas Heft ist auch dabei! Großer Gott …« Sie stieß die Hefte zurück und ließ sich auf den Stuhl sinken. »Ich kann das nicht«, murmelte sie, ohne mich anzusehen. »Bitte geh, Gunnar. Geh und lass mir meine friedliche Welt.«
    Es war einer dieser Momente, in denen man spürt, dass etwas zu Ende geht, unwiderruflich zerbricht. Ich stand hilflos zwischen Herd und Spüle und sah zu, wie Birgitta mit einer entsetzlich müden Bewegung die Arme über ihrer Aktentasche verschränkte und den Kopf darauf bettete. Ich begriff, dass das keine Laune war, die vergehen würde. Ich hatte ihr wehgetan. Mein Ehrgeiz, sie mit den Realitäten der Welt zu konfrontieren, war falsch gewesen.
    Ich ging ins Wohnzimmer, wo noch mein Rucksack stand. Mehr als die Ausrüstung und das, was ich auf dem Leib trug, besaß ich ohnehin nicht mehr. Selbst die Zahnbürste im Bad gehörte Birgitta. Ich nahm meine Habe mit in den Flur, schlüpfte in die schwarze Jacke und zog die Schuhe an.
    Sie kam in den Flur, schlurfend, mit verschleiertem Blick, und umarmte mich schweigend. Ich blieb erst reglos stehen, um schließlich ebenfalls die Arme um sie zu legen. »Du fühlst dich so gut an«, murmelte sie in das dicke Futter meiner Jacke.
    »Du dich auch«, erwiderte ich leise und hoffte einen Moment lang, dass alles doch nur eine Laune gewesen sein mochte.
    Doch sie ließ mich los, trat einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf. »Aber es geht nicht. Ich kann so nicht leben.«
    Sie wich meinem Blick aus, sah nur zu Boden. »Bitte geh. Und komm nicht wieder, okay?«
    »Okay«, sagte ich und ging.
     
    Ich kam bei Dimitri unter, der sich beinahe zu freuen schien, mich zu beherbergen. Als wäre es das Allerdringlichste, bereitete er mir, obwohl es erst früher Nachmittag war, sofort ein Nachtlager auf einer Klappliege in seinem Schlafzimmer, das dadurch noch enger wurde, als es ohnehin war. Ich bekam ein dickes Kopfkissen und eine dünne Decke, die er in eine geblümte Bettwäsche hüllte, die ich als in Schweden unverkäuflich eingeschätzt hätte. Ich fragte mich, woher er sie hatte. Ich fragte mich überhaupt, wofür er das ganze Geld ausgab, das er doch zweifellos verdienen mußte, und steuerfrei dazu.
    »Schau ins Wohnzimmer, da steht mein ganzes Vermögen«, entgegnete er grinsend auf meine entsprechende Frage. »Solche Computer kannst du nicht im Laden kaufen. Das sind Hochleistungsmaschinen. Die stecken alles, was es sonst gibt, in die Tasche.«
    Auch im Schlafzimmer war es staubig. Auf dem Boden lagen leere Weingummi-Tüten und ein paar Erdnussschalen herum. Nicht viele, gerade genug, damit es ungemütlich wirkte. Auch egal. Noch zwei Tage, dann war ohnehin alles vorbei.
    Überhaupt, was hatte ich mir über seine Vermögensverhältnisse den Kopf zu zerbrechen? Ich selber besaß nach der IT-Bahn-Fahrt noch knapp dreißig Kronen. In jahrelanger Arbeit

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