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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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unterwegs gewesen war. Ich hatte Babysitter gespielt, ihr vorgelesen – was man eben so als Onkel macht, der zwischen zwei Aufträgen viel Zeit hat. Trotzdem kamen mir meine Erinnerungen an sie heute seltsam unglaubwürdig vor, eher so, als hätte mir jemand nur von ihr erzählt. Ich hatte sie vor sechs Jahren das letzte Mal gesehen. Kristina war ein Gesicht auf Fotos geworden, mehr ein Symbol für meine Familie als ein wirklicher Mensch.
    »Sag mal«, fragte Dimitri, während er versuchte, seine mit zu viel Rahm verunstaltete Soljanka durch Nachschöpfen aus dem Kochtopf zu retten, »was ist eigentlich mit Kristinas Mobiltelefon?«
    Ich runzelte die Stirn. »Was soll damit sein? Keine Ahnung. Ich weiß nicht mal, ob sie eines hat.«
    »Natürlich hat sie eins. Jedes Kind in ihrem Alter hat heutzutage eins.«
    »Ja, und? Sie werden es ihr wohl kaum gelassen haben.«
    »Schon klar«, seufzte Dimitri. »Ich will auf was anderes hinaus.«
    Und er erklärte mir, wie Mobiltelefonsysteme funktionieren.
    Das eigentliche Mobilfunknetz besteht aus zahllosen Sende-und Empfangsmasten, die überall im Land – inzwischen eigentlich überall auf der Welt – aufgestellt sind. Der Weg eines Telefongesprächs verläuft immer von einem Telefon zum nächstgelegenen Funkmasten, von dort aus über ganz normale Telefonkabel zu dem Funkmasten, in dessen Gebiet sich das andere Telefon befindet. Nur auf diese Weise ist es möglich, Geräte mit so geringer Sendeleistung einzusetzen, dass sie tragbar bleiben und in unmittelbarer Nähe des Körpers ohne ernste Gefahr für die Gesundheit benutzt werden können.
    Sobald ein Mobiltelefon eingeschaltet wird, sucht es als Erstes nach dem nächsten Funkmasten in Reichweite, nimmt mit ihm Kontakt auf und meldet sich im System an. Wählt nun jemand die Nummer dieses Telefons, stellt das System fest, bei welchem Funkmasten es angemeldet ist, und leitet die Verbindung dorthin. Zudem wird, wenn sich eines der Telefone vom Empfangsbereich eines Mastes in den eines anderen bewegt, die Verbindung zu diesem umgeschaltet, und zwar so schnell, dass die Gesprächsteilnehmer das in der Regel nicht einmal bemerken.
    »Ein irrer Aufwand«, sagte ich. Ich kapierte immer noch nicht, worauf er hinaus wollte.
    »Für irre aufwändige Prozesse hat man Computer erfunden«, meinte Dimitri und winkte ab. »Ich will dir sagen, was der springende Punkt ist. Diese Vorgänge werden aufgezeichnet. Nicht nur die hergestellten Verbindungen – die natürlich sowieso, denn man muss sie ja abrechnen. Nein, es werden alle Anmeldungen gespeichert, jeder Übergang von einem Funkbereich in einen anderen, alles. Auf den Computern der Mobilfunknetze sind kilometerlange Listen, und wenn man die auswertet, kann man die Bewegungen aller eingeschalteten Mobiltelefone nachvollziehen.«
    Ich riss die Augen auf. »Das heißt, man könnte feststellen, in welchem Funkbereich Kristinas Mobiltelefon zuletzt angemeldet war!«
    »Genau.«
    »Und du hast womöglich Zugang zu diesen Daten?«
    »Sonst würde ich nicht so dumm fragen. Alles, was ich brauche, ist Kristinas Telefonnummer.«
    Es war, als hätte mir ein gewaltiger elektrischer Schlag alle wodkaselige Benommenheit zu den Poren hinausgetrieben. Ich zog mein eigenes Telefon aus der Tasche. »Wie groß ist so ein Funkbereich?«, fragte ich, während ich Hans-Olofs Nummer wählte.
    »Ziemlich groß«, sagte Dimitri, »aber das spielt keine Rolle. Die Sende-und Empfangsantennen sind richtungsempfindlich, und das System rechnet sich aus der Zeit, die das hin und her gehende Signal braucht, die Entfernung des Telefons zum Funkmast aus. In der Praxis kann man ein Mobiltelefon auf hundert Meter genau lokalisieren.«
    »Genial.« Ich wartete ungeduldig, bis Hans-Olof sich meldete. »Hallo, ich bin’s. Sag mal, wie lautet die Nummer von Kristinas Mobiltelefon?«
    Mein Schwager seufzte abgrundtief. »Du meine Güte. Denkst du, dass ich das noch nicht probiert habe? Es ist natürlich abgeschaltet.«
    »Sag mir einfach die Nummer, okay?«
    Er brummte etwas, dann war Stille.
    »Hallo?«, rief ich. »Bist du noch da?«
    »Ich finde sie nicht«, meldete sich Hans-Olof raschelnd wieder. Er atmete schwer, als wäre er mal eben kurz rund ums Haus gerannt.
    »Was heißt das, du findest sie nicht? Du wirst doch die Telefonnummer deiner Tochter kennen?«
    »Ja, ich hab sie auf einer Karte notiert, die eigentlich im Geldbeutel sein müsste, aber da ist sie nicht. Ich verstehe auch nicht, was du damit willst. Das

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