Der Nobelpreis
anpeilen war nicht die Rede. Wir hoffen, die letzten bekannten Aufenthaltsorte des Geräts zu ermitteln, das ist alles.«
»Und wie lange dauert so was?«
Ich gab die Frage an Dimitri weiter, der sich bereits des Notizzettels bemächtigt hatte und die Telefonnummer aufmerksam studierte. »Spätestens morgen Vormittag.«
»Du hast es gehört«, sagte ich. »Also, drück uns die Daumen.«
»Mach ich«, antwortete Hans-Olof. Er klang nicht, als mache er sich wirklich Hoffnungen.
Ich kappte die Verbindung und fragte: »Wieso erst morgen? Dauert das so lange?«
»Eigentlich nur fünf Minuten. Aber das da ist das BlueCom- Netz.« Dimitri tippte auf die Vorwahl der Telefonnummer. »Da liegt mein geheimer Zugang auf einem Rechner, der um diese Zeit abgekoppelt ist. Der macht jetzt Reorganisationsläufe und wird erst morgen früh wieder dazugeschaltet, in der Rush Hour. Ab acht Uhr oder neun Uhr, je nachdem.« Er sah mich vorwurfsvoll an. »Du hättest mir das alles gestern schon erzählen sollen. Sonntags habe ich freien Zugang bis Mitternacht.«
Ich zuckte mit den Achseln und schob mein Telefon wieder ein. »Hätte ich wissen müssen, dass du zaubern kannst?«
»Ja. Hättest du.«
»Also gut, hätte ich. Ich bin ein bisschen aus der Übung, okay?«
»Du bist vor allem entsetzlich misstrauisch«, brummte Dimitri. »Das wird noch mal dein Verhängnis.« Er schien beinahe ernsthaft verstimmt zu sein.
»Bis zum Beweis des Gegenteils«, erwiderte ich, »werde ich davon ausgehen, dass ich meinem Misstrauen mein Leben verdanke.«
Mitten in der Nacht kam der Überfall. Ein ohrenbetäubendes Krachen, als würde die Tür, ach was, als würden zehn Türen mit einem Rammbock zertrümmert, Geschrei aus hundert Kehlen, hallendes Stiefelgetrappel …
Ich war im Bruchteil einer Sekunde hellwach und auf den Beinen. Trotz der erstickenden Dunkelheit fand ich meinen Rucksack mit einem Griff und hatte gleich darauf die Pistole in der Hand.
»Oh, Scheiße«, hörte ich Dimitri schlaftrunken murmeln.
… Stiefelgetrappel eines ganzen Regiments, Fanfarenstöße.
Fanfaren?
Das Licht ging an. »Beruhige dich«, sagte Dimitri, auf der Bettkante hockend und sich die Augen reibend. »Das sind bloß die Computer. Sie haben die Datei geknackt.«
KAPITEL 45
Mit all dem überflüssigen Adrenalin im Blut in das dunkle Wohnzimmer zu kommen, mit all den Computerbildschirmen voller irrlichternder Zahlenkolonnen, dem vielstimmigen Brummen der Lüfter und dem Knattern der Festplatten war, als betrete man die Kommandozentrale eines Flugzeugträgers. Ich machte Licht und blinzelte zu der Uhr an der Wand. Fünf vor zwei.
Einer der Bildschirme irrlichterte nicht mehr. Stattdessen blinkte darauf ein rot unterlegtes Feld. Es sah aus, als verkünde es das Nahen von Atomraketen, in Wirklichkeit zeigte es einfach das gefundene Passwort an.
Es lautete vv-rütag07.
»Sieht aus, als ob es irgendwas bedeutet«, brummelte Dimitri, während er sich die magere Brust unter dem Unterhemd kratzte. Genau wie ich hatte er in der Unterwäsche geschlafen.
»Aber wie hätte man darauf kommen sollen? Da hätte ein Wörterbuchangriff nichts gebracht.«
Ich hatte keine Ahnung, wovon er redete. Ich war schon froh, dass mir klar war, wie ich hieß und wo ich war. Ich war den Wodka offensichtlich nicht mehr gewöhnt, jedenfalls nicht in russischen Mengen. Wann war uns eigentlich wieder eingefallen, dass diese Wohnung auch über Betten verfügte? Keine Ahnung. Alles, woran ich mich erinnerte, war, dass sich das Haus zu dem Zeitpunkt schon in heftigem Seegang befunden hatte.
Dimitri ging reihum, stoppte die Codebrecherprogramme und fuhr die Rechner herunter. Die Stille, die auf diese Weise nach und nach entstand, hatte etwas Ohrenbetäubendes. Schließlich war nur noch ein Computer an, das siegreiche Gerät. Dimitri zog seinen Sessel davor, legte die Hand auf die Maus und warf mir einen kurzen Blick zu. »Soll ich?«
»Klar«, erwiderte ich. Mein Mund war trocken. Vor Aufregung oder vom Alkohol.
»Hoffentlich ist es nicht bloß eine Sammlung von schmutzigen Witzen. Das hatte ich auch mal.«
Ich hatte immer noch den Revolver in der Hand. Behutsam legte ich ihn auf einen der leise knackenden Monitore, neben das Spitzendeckchen. »Mach nicht lang rum. Schau einfach nach, okay?«
»Ich meine ja bloß.« Er öffnete die Datei. Ich sah ihm dabei über die Schulter und hätte wer weiß was darum gegeben, wenn sich die Watte aus meinem Hirn verflüchtigt
Weitere Kostenlose Bücher