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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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hatte ich Hunderttausende verdient, und nun war mir auch nichts mehr geblieben. Das Geld in meinem Zimmer hatte die Polizei sicher längst beschlagnahmt, und herauszufinden, zu welcher Bank und welchem Schließfach der Schlüssel im Nachttisch gehörte, konnte auch kein Problem gewesen sein.
    »Siehst du, sie rennen alle noch«, meinte er und schritt die Phalanx seiner Computer voller Besitzerstolz ab. »Hämmern mit voller Wucht gegen die Mauer um deine Datei.«
    Ich nickte anerkennend. »Und? Irgendwelche Fortschritte?«
    » Kanjeschno! Jede Sekunde kennen wir ein paar tausend Kombinationen mehr, mit denen es nicht funktioniert.«
    »Und wie lange wird es dauern, bis es funktioniert?«
    Dimitri zuckte mit den Achseln. »Das kann man bei bruteforce -Attacken schwer sagen. Im Prinzip kann es jeden Moment so weit sein. Glückssache.«
    »Verstehe.« Von meinem Glück erwartete ich allerdings nicht mehr viel.
    Er machte uns einen Kaffee, guten diesmal, und wir saßen da und redeten über die alten Zeiten. Das heißt, im Grunde redete Dimitri, der froh zu sein schien, wieder einmal ein Gegenüber zu haben. Ich erfuhr von einer gewissen Mona, mit der er fast ein Jahr zusammen gewesen war. Einundzwanzig war sie gewesen und blond, platinblond, die Haare »so lang«, wie er mit der Hand auf Höhe seiner Lendenwirbel andeutete. Auch den Umfang ihrer Brüste veranschaulichte er mit begeisterten Gesten. Aus einem Grund, über den er sich nicht weiter ausließ, war es aber zu Ende gegangen, ein paar Wochen, bevor er ohnehin hatte untertauchen müssen.
    »Kochen konnte sie auch«, seufzte Dimitri schicksalsergeben. »Sogar Bliny und Piroggen hat sie für mich gemacht, stell dir vor. Ja, es war schon eine schöne Zeit.« Er nickte sinnend vor sich hin, den Blick auf zwei Ikonen gerichtet, die natürlich auch in der Küche nicht fehlen durften. »Weißt du was?«, kam ihm plötzlich die Idee. »Lass uns was kochen. Das Teigzeug kann ich leider nicht, aber wir können einen guten Borschtsch machen. Zur Feier des Tages.«
    Ehe ich etwas einwenden konnte, zum Beispiel, dass kein Anlass zum Feiern in meinem Leben erkennbar und Borschtsch außerdem noch nie mein Fall gewesen war, war er schon am Kühlschrank und inspizierte dessen Inhalt. »Wie immer, nichts im Haus«, konstatierte er nach einem kurzen Blick. »Ich gehe schnell einkaufen. Bin gleich zurück.«
    Womm, weg war er. Ich blieb in der Küche sitzen, trank meinen Kaffee aus und behielt die Zeiger der Uhr im Auge. Wenn die Dinge so weiterliefen wie bisher, wurde er wahrscheinlich ausgerechnet hier und heute verhaftet, und dann? Keine Ahnung. Es brachte auch nichts, darüber nachzudenken.
    Die Zeit verging, draußen waren die Straßenlaternen wieder an und längst heller als der Himmel, und er war immer noch nicht zurück. Obwohl es bis zum Einkaufszentrum nur fünf Minuten waren. Ich ging ins Wohnzimmer, sah den Computern zu, über deren Bildschirme Kolonnen von Zahlen und Buchstaben rasten, schneller als ein Auge erfassen konnte. Ein beeindruckender Anblick, in der Tat.
    Während ich den rasenden Computern zusah, kam mir zum ersten Mal zu Bewusstsein, wie eigenartig diese Situation war. Ich besaß die Information doch schon! Sie war da, befand sich auf der Diskette, die ich gefunden hatte! Und trotzdem konnte ich nichts damit anfangen, weil die Abfolge von Bits und Bytes, von Buchstaben und Zahlen auf undurchschaubare Weise durcheinander gewürfelt worden war. Da war keine Mauer, kein Gitter, kein Sperrzaun – mit all diesen Dingen wäre ich fertig geworden. Nein, es war ein Rätsel in sich, unlösbar ohne den richtigen Code.
    Schließlich kam Dimitri mit zwei großen Tüten bepackt zurück. »Keine Rote Beete«, erklärte er, noch außer Atem von der Treppe. »Diese schwedischen Supermärkte sind furchtbar. So ein reiches Land, und die Abteilungen mit dem Gemüse immer so ein trauriger Anblick.« Er trug die Tüten in die Küche. »Wir machen was anderes«, rief er von dort. » Soljanka, was hältst du davon?«
    »Ist mir recht«, gab ich zurück.
    Wir verbrachten die nächste Stunde damit, Zwiebeln und Salzgurken in Streifen zu schneiden, Schinken zu zerkleinern und Oliven zu vierteln. Jeweils auf Dimitris Kommando kamen die Sachen in den Topf, in dem schon ein großer Brocken Suppenfleisch in Brühe vor sich hin simmerte. Und damit die Arbeit leichter von der Hand ging, gab es zwischen den Arbeitsgängen jeweils ein Gläschen Wodka.
    Zum ersten Mal seit Ingas Tod war mir

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