Der Nobelpreis
einen aus dem Haus trugen.
»Und jetzt?«, hauchte Hans-Olof schließlich.
Ich horchte in mich hinein, aber da war nichts. Kein Plan mehr. »Keine Ahnung«, sagte ich. »Das ist das Ende von allem, nehme ich an.«
Dimitris Fund war die letzte Chance gewesen. Und wer würde je wissen, ob es überhaupt eine gewesen war?
Ich hatte versagt. So war das. Es führte kein Weg daran vorbei, mir diese Wahrheit einzugestehen. Ich war angetreten mit der wilden Zuversicht, der Joker im Spiel zu sein, der Trumpf aus dem Ärmel, derjenige, der alles herumreißen würde.
Nichts war mehr übrig von diesem Gefühl der Kraft. Ich steckte die Hände in die Taschen, befühlte das, was sich darin befand, überlegte.
»Könntest du mir Geld geben?«, fragte ich schließlich. Die Frage des Tages. Diesmal fiel sie schon nicht mehr so schwer.
Hans-Olof hob den Kopf. »Wie viel?«
»Was du entbehren kannst.«
Die Heckklappen der Polizeifahrzeuge wurden zugeschlagen. Ein Beamter zog die Haustür zu und bedeutete den Zuschauern, ihrer Wege zu gehen. Während der Konvoi anfuhr, zückte Hans-Olof seinen Geldbeutel.
»Zweitausend Kronen?«
»Okay.«
»Was hast du vor?«
»Ebenso einfach wie angemessen«, sagte ich und schob die Scheine ein. »Ich gehe mich besaufen.«
Er machte große Augen, und so ließ ich ihn stehen und ging. Er machte immer noch große Augen, als ich an ihm vorbeifuhr, und er sah immer noch aus wie ein Gespenst.
Ich hätte ihm unmöglich sagen können, was ich wirklich zu tun beabsichtigte. Ausgeschlossen. Ich war kaum imstande, es vor mir selber zuzugeben, und ganz bestimmt nicht vor Hans-Olof.
KAPITEL 48
Fünfundzwanzig Stunden später, am Mittwoch, dem zehnten Dezember kurz nach vier Uhr nachmittags kratzte ein Schlüssel im Schloss der Andersson’schen Haustüre. Die Tür ging auf, ein Mann kam hereingestapft, streifte hüstelnd die Schuhe ab …
Und hielt inne, als er die Geräusche im Haus hörte. Stimmen. Töne. Ein laufender Fernsehapparat!
»Hallo?«, rief Hans-Olof Andersson mit zittriger Stimme.
»Ist jemand zu Hause?«
Keine Antwort.
Ohne den Mantel abzulegen, mit raschen, resoluten Schritten durchquerte Hans-Olof den Vorraum, riss die Tür zum Wohnzimmer auf und seufzte abgrundtief vor Erleichterung, als er mich auf dem Sofa entdeckte.
»Du!«, rief er aus. Es klang, als habe er jemand ganz anderen erwartet. »Meine Güte, hast du mir einen Schrecken eingejagt.«
»Wieso denn?« Ich blieb sitzen, wo ich war, hob nur die Fernbedienung, um den Ton abzustellen. Die Liveübertragung der Nobelfeier hatte schon begonnen, die Kameras zeigten vornehm gekleidete Menschen im Publikum und ab und zu auch mal das Stockholm Konserthuset von außen. »Ich habe doch versprochen, dass ich dir Gesellschaft leiste.«
»Ach ja. Richtig.« Er blinzelte, nestelte den Schal von seinem Hals und hielt mitten in der Bewegung inne. »Aber wie bist du denn hereingekommen?«
Ich verdrehte die Augen. » Du stellst Fragen!«
»Ach so, ja, richtig …« Das Kaleidoskop der Gefühle auf seinem Gesicht war sehenswert. Trotz aller wissenschaftlichen Brillanz schien ihm erst jetzt, gute fünfzehn Jahre, nachdem er von mir und meinem Metier erfahren hatte, aufzugehen, was das eigentlich hieß: einzubrechen.
Schließlich ging er hinaus, um Mantel und Schal ordentlich an der Garderobe aufzuhängen. Er war einfach ein ordentlicher Mensch, mein Schwager. Als er zurückkam, hatte er sich wieder gefangen. Nicht nur das, er wirkte beinahe heiter. So, als sei das hier alles nichts weiter als ein netter Nachmittag im Kreis der Familie. Oder was eben davon übrig war.
»Ich habe gesagt, ich hätte Kopfweh«, erzählte er, während er allerhand Knabberzeug auf den Couchtisch stellte. »Jetzt freut sich jemand; ich hätte dieses Jahr nämlich einen Platz auf der Bühne gehabt, den nun natürlich ein anderer kriegt.« Auf dem Fernsehschirm war sie gerade in voller Pracht zu sehen, die Bühne. Dutzende älterer Herren in Smokings, auf eng gestellten Stühlen zusammengedrängt, nur vereinzelt eine Frau dazwischen. Es handelte sich, wie der Reporter mit gedämpfter Stimme erklärte, hauptsächlich um Mitglieder der stimmberechtigten Gremien, aber es waren auch einige Nobelpreisträger aus den vorigen Jahren darunter. Im Vordergrund links eine Reihe leerer, mit rotem Samt ausgeschlagener Sessel für die Laureaten, rechts die breiten, reich verzierten Sitzgelegenheiten, auf denen die königliche Familie Platz zu nehmen geruhen würde.
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