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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Als ich zurück ins Haus kam, saß er noch so da, wie ich ihn verlassen hatte. Ich bat ihn mühsam um Geld – ich weiß nicht mehr, was ich gesagt habe, wirres Zeug auf jeden Fall, das mir kaum über die Lippen wollte –, und er sprang sofort auf und gab mir alle Geldscheine, die er in irgendwelchen Schubladen, Zuckerdosen und Einmachgläsern fand, mehr als ich brauchte. Er schüttelte mir die Hand, versicherte mir, wie Leid es ihm tue wegen Inga, sie sei immer eine so gute Schülerin gewesen. Sogar dass sie sich besonders für Tiere und Pflanzen interessiert hatte, wusste er noch, und wiederholte ein ums andere Mal, wie es ihn erleichtere, dass wir damals nicht ums Leben gekommen seien. Jahrzehntelang habe das auf seiner Seele gelastet, jahrzehntelang.
    Ich machte, dass ich fortkam.
    Irgendwo am Weg fand ich eine Tankstelle, an der aller Fortschritt spurlos vorübergegangen war: drei rostige Zapfsäulen in einem engen Hof und eine missgelaunte Alte, die ungeachtet der Kälte in karierter Kittelschürze und Gummistiefeln durch den Schnee stapfte und darauf bestand, dass ich im Auto sitzen blieb. In Oskarshamn verschwendete ich gut vierzig Minuten damit, nach einem Laden für Telefonzubehör zu suchen, und als ich endlich einen gefunden hatte, hatten sie keine Ladegeräte vorrätig, die für mein Telefon gepasst hätten. Daraufhin versuchte ich, von einer öffentlichen Telefonzelle aus ein R-Gespräch anzumelden, doch als die Telefonistin mich nach der gewünschten Nummer fragte, merkte ich, dass ich die Telefonnummer von Hans-Olofs Handy nicht wusste: Ich hatte sie ja nie eintippen müssen, es hatte immer genügt, die Kurzwahltaste zu drücken, unter der sie gespeichert war! Und dort war sie ohne Strom in den Batterien unzugänglich.
    Ich gab es auf. Musste ich eben doch zusehen, dass ich so rasch wie möglich nach Stockholm kam. Ich nahm mir vor, Dimitri die Hölle heiß zu machen, und fuhr so schnell es die Verhältnisse zuließen, was nicht sehr schnell war. Die Uhrzeiger rasten, der Kilometerzähler schlich, die Sonne sank. Als ich Hallonbergen endlich erreichte, war schon wieder dunkler Nachmittag, und bis zum Beginn der Preisverleihung waren nur noch fünfundzwanzig Stunden übrig.
    Ich bog in die Straße ein, in der Dimitri wohnte, und hielt Ausschau nach Hans-Olofs Auto. Den blauen Kastenwagen mit der Aufschrift POLIS hätte ich fast übersehen.
    Die Haustüre stand offen. Männer in Uniform schleppten Kisten und Computer heraus und verluden sie in den Wagen.
    Das durfte nicht wahr sein. Ich rollte langsam vorbei, glotzte wie alle anderen auch, die auf der Straße herumstanden. Ich spähte hinauf zu den Fenstern der Wohnung … Da, im dritten Stock. Zwei Männer hinter einer Scheibe, und keiner der beiden sah auch nur entfernt wie Dimitri aus.
    Ich parkte irgendwo, stieg aus, sah meinen Händen zu, wie sie den Wagen abschlossen, und marschierte wie betäubt den Weg zurück. Blieb irgendwann stehen, sah zu, was geschah, und konnte es nicht begreifen. Alles in mir fühlte sich wie tot an, abgestorben angesichts der Ungerechtigkeit des Schicksals.
    »Ich glaube, ich habe mich geirrt«, wisperte plötzlich eine Stimme neben mir.
    Ich zuckte zusammen und fuhr herum. Es war Hans-Olof. Besser gesagt, ein graues, erschöpftes Wesen, das entfernte Ähnlichkeit mit ihm hatte.
    »Was die Abhörsicherheit von Mobiltelefonen anbelangt, meine ich«, fuhr er fort, mit einer leisen, matten Stimme, die ohne weiteres aus einer jenseitigen Welt hätte stammen können. »Ich bin zu spät gekommen. Sie haben einen Mann in Handschellen herausgeführt, gerade als ich angekommen bin. Ich nehme an, dass war er? Dieser Dimitri?«
    Ich sah ihn an, nickte schließlich mit einem tauben Gefühl im ganzen Leib. »Ja.«
    Hans-Olof gab einen Laut von sich, der der Versuch eines Seufzers sein mochte. »Ich war im Haus. Die Tür im dritten Stock war versiegelt. Und vor einer halben Stunde oder so sind dann die da aufgetaucht.« Er hustete in die hohle Hand. »Ich habe auf dich gewartet.«
    »Es ging nicht schneller«, sagte ich.
    »Ich wusste nicht, wie ich hineinkommen sollte. Ich hätte auch nicht gewusst, wonach ich hätte suchen sollen. Mit Computern kenne ich mich nicht besonders aus, und …«
    »Schon gut«, sagte ich.
    »Ich habe versucht, dich anzurufen.«
    »Meine Batterie ist leer.«
    »Auch das noch.«
    »Genau.«
    Eine Weile sagte keiner von uns etwas. Wir sahen nur den Polizisten zu, wie sie noch einen Computer und immer noch

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