Der Nobelpreis
benutzt sie. IBM verkaufte Anfang der Neunzigerjahre sogar einen bei leitenden Angestellten äußerst beliebten tragbaren Rechner mit einer ausklappbaren Tastatur. Die brauchte man nur anzuheben, um die darunter befindliche Festplatte mit einem Griff herausnehmen und bequem in die Jackentasche stecken zu können. Wenn man keine Spuren hinterlassen will, schließt man eines jener Geräte an, die auf dem Schwarzmarkt verkauft werden und mit denen sich der Inhalt kompletter Rechner in Minutenschnelle absaugen lässt. Bis man das Bad geputzt hat – flüchtig, schließlich will man kein Abschlusszeugnis, sondern nur unverdächtig wirken –, kann man die komplette Korrespondenz, die Kundendatei oder was auch immer davontragen.
Und wenn gar nichts anderes geht, stiehlt man eben das ganze Gerät.
Fachkongresse haben überdies den Vorteil, dass in der Regel die wichtigsten Leute ein und derselben Branche zusammentreffen. Man kann sie also alle bestehlen und anschließend jedem die Geheimnisse der anderen verkaufen: eine höchst lukrative Mehrfachverwertung, die man allerdings über einen Mittelsmann abwickeln sollte, falls man je wieder in dieser Branche arbeiten möchte.
Um zielsicher vorgehen zu können, ist es nützlich zu wissen, wer wann in welchem Zimmer eingebucht ist – Informationen, die man sich rechtzeitig vorher durch einen Einbruch in eigener Sache beschafft. Ferner muss man, obwohl die Überprüfungen meist eher lax ausfallen, bei der Einstellung echt aussehende Papiere vorlegen; das ist eine Frage der richtigen Kontakte und des richtigen Honorars. Es empfiehlt sich ferner, so zu tun, als beherrsche man die Landessprache nur schlecht, was ein wenig Übung und sorgsam ausgewählte schlechte Kleidung erfordert, einem aber den Vorteil einbringt, dass man nahezu unsichtbar wird, eine Nichtperson, in deren Gegenwart ungeniert vertrauliche Gespräche über brisanteste Themen geführt werden.
Das Grand Hotel Stockholm ist das teuerste und vornehmste Hotel Schwedens: ein großer brauner Kasten entlang der Södra Blasingholmshamnen, auf dessen grünspanbedecktem Dach immer ein Wald von Flaggen aller Herren Länder weht und dessen beste Zimmer Blick auf den Hafen, den königlichen Palast und die Altstadt von Gamla Stan haben. Seit es den Nobelpreis gibt, also seit über hundert Jahren, werden hier die Laureaten untergebracht, und anfangs fand in seinem Spegelsalen auch das Nobelbankett statt, ehe man 1930 aus Platzgründen damit ins Stadshuset umzog.
Dass das Grand Hotel schon ein altehrwürdiges Haus gewesen ist, als die Testamentsvollstrecker Alfred Nobels gerade dabei waren, den Preis ins Leben zu rufen, sollte einen nicht zu falschen Schlüssen verleiten. Ich kannte das Hotel von einigen Aufträgen her, die schwierig gewesen waren und geraume Zeit zurücklagen, und ich erinnerte mich noch deutlich an den schon damals sehr hohen Sicherheitsstandard. Keine billigen Schlösser, keine falschen Überwachungskameras, nichts dergleichen. Alles auf dem neuesten Stand der Technik und das Beste, was für Geld zu haben war. Im Gefängnis hatte ich in einer Zeitung gelesen, dass das Haus im Verlauf der Neunzigerjahre in vielfacher Hinsicht umgebaut, renoviert und erweitert worden war. Zudem wimmelte es im Hotel in der Nobelwoche von Sicherheitskräften. Also ging ich respektvoll erst einmal darum herum.
Der überraschend kleine Haupteingang auf die Strömkajen war immer noch derselbe: eine Drehtür unter einem Baldachin aus dunkel angelaufenem Metall, dahinter eine enge Treppe, die hinauf zum Empfang führt. Ein junger Schnösel in dunkelblauer Empfangsuniform mit goldenen Tressen saß auf einem Hocker davor und gähnte, dass ihm fast der Zylinder vom Kopf fiel. So weit alles wie gehabt.
Das Grand Hotel nimmt nicht den ganzen Block ein, nur beinahe. Nebenan findet sich noch das Verwaltungsgebäude der SVENSKA NÄRINGSLIV, um die Ecke, in der Hovslagargatan, spähte ich in einen kleinen, verstaubten Tabakladen, während ein Mann daneben von einer am Straßenrand im Schnee stehenden Palette Kopierpapier in ein im Tiefgeschoss liegendes Büro hinabtrug. In der Stallgatan fand ich endlich den Personaleingang, und allmählich kamen mir Ideen, wie ich vorgehen konnte.
Seit ich den Veranstaltungsplan aus Reto Hungerbühls Safe gestohlen hatte, wusste ich, dass Sofía Hernández Cruz an diesem Abend, dem 9. Dezember, der Verleihung des Right Livelihood Awards beiwohnen würde, der gern auch als »Alternativer Nobelpreis«
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