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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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aus, danke der Nachfrage. Zweitens hat an einem solchen Abend keine Frau Schuhe an, mit denen man längere Strecken durch Schnee laufen kann, erst recht nicht schnell.« Ich bin selber immer wieder verblüfft, was für Ausreden meinem Gehirn von einem Moment zum anderen einfallen. »Und drittens kriege ich gleich einen Tobsuchtsanfall, wenn Sie mir jetzt nicht einen Generalschlüssel geben und den Weg freimachen.«
    Er gab nach. Ich durfte hereinkommen, und er händigte mir eine Schlüsselkarte aus. Allerdings bestand er darauf, mich auf Waffen und andere böse Sachen zu durchsuchen und den Ausweis zu behalten, bis ich zurück war. Während er meinen Namen in das Protokollbuch schrieb, war ich schon im Laufschritt unterwegs zum Personalaufzug.
    Anders als viele glauben, gibt es nur eine einzige Nobel Suite im Grand Hotel von Stockholm. Sie liegt im siebten Stock, hat die Zimmernummer 702, und traditionell logiert dort der Literaturnobelpreisträger. Die übrigen Laureaten müssen mit einer der anderen 19 Suiten vorlieb nehmen, wobei sie, wenn es sich einrichten lässt, jedoch zumindest eine mit Blick auf den Hafen bekommen.
    Sofía Hernández Cruz war in Suite Nummer 611 untergebracht. Ehe ich mich der entsprechenden Tür auch nur näherte, überprüfte ich die Anordnung der Videokameras, die den Flur überwachten, und drehte eine davon ein Stück zur Seite. Mit etwas Glück würde niemand die Änderung bemerken, mit etwas weniger Glück würde es zumindest eine Weile dauern, bis jemand kam, um nachzusehen, was los war.
    Die Suite war, natürlich, eine Leistungsschau schwedischen Möbeldesigns. Ich öffnete rasch eine Schranktür nach der anderen, schnappte den erstbesten BH und stopfte ihn in eine Plastiktüte, die ich in die Tasche schob. Dann tat ich das, weswegen ich eigentlich gekommen war: Ich klebte ein Stück durchsichtigen Klebstreifen so über das Schloss, dass die Falle nicht mehr einrasten konnte. Die schwere Tür wurde von einer Feder zugedrückt; eine Weile sollte diese Manipulation unentdeckt bleiben.
    Ich setzte noch rasch den Sensor an der Tür zum Treppenhaus außer Funktion, dann fuhr ich wieder nach unten. Mats saß an einem der mit grauenhaft gemusterten Wachstischtüchern gedeckten Tischen in dem kleinen Aufenthaltsraum neben dem Eingang, als ich zurückkam, und starrte Löcher in die Luft.
    »Alles klar«, rief ich ihm zu und schwenkte die Plastiktüte mit dem BH darin. Dann sah ich demonstrativ auf die Uhr.
    »Könnte reichen.«
    Er bequemte sich, aufzustehen, mir meinen Ausweis wieder auszuhändigen und meine Anwesenheit aus der Liste auszutragen. Ich gab ihm die Schlüsselkarte zurück und stellte dabei fest, dass er auch nicht mehr so richtig taufrisch war.
    Mit der Hand an der Türklinke blieb ich noch einmal stehen. »Ach ja, Mats«, sagte ich und klopfte auf die Jackentasche, in der ich den BH verwahrte, »wenn davon irgendetwas durchsickert … Wenn irgendjemand eine Bemerkung der Professorin gegenüber machen sollte … Sie wissen, wem ich dann den Kopf abreiße?«
    Er riss die Augen auf und beeilte sich zu nicken. »Schon klar. Ich nehme das mit ins Grab.«
    »Danke«, sagte ich. »Ohne Leute wie uns wären die da oben ganz schön aufgeschmissen, was?«
    Er nickte müde. »Das können Sie laut sagen.«
    Ich ließ ihn zurück und marschierte stramm los, allerdings nicht zu der Brücke, über die ich nach Helgeandsholmen zum Parlamentsgebäude gelangt wäre. Stattdessen eilte ich zu meinem im Halteverbot stehenden Wagen und holte all die Sachen heraus, die bei der Leibesvisitation unangenehm aufgefallen wären. Dann kehrte ich zum Grand Hotel zurück und betrat es diesmal durch den Haupteingang.
    Luxushotels sind durchaus an ungewöhnlich gekleidete Gäste gewöhnt. Trotzdem fiel ich mit meiner Lederjacke auf, zumindest trat sofort ein anderer Sicherheitsmann auf mich zu. Er sah etwas vorzeigbarer aus als Mats und erkundigte sich beflissen, ob er mir behilflich sein könne.
    »Danke«, erwiderte ich leichthin, »aber ich warte bloß auf jemanden.«
    »Soll ich den Betreffenden telefonisch verständigen?«
    Ich grinste und zog mein nutzloses Mobiltelefon aus der Tasche. »Habe ich schon erledigt. Die Dame müsste jeden Moment aus dem Fahrstuhl kommen.«
    »Verstehe«, nickte er.
    »Aber«, fiel mir doch noch etwas ein, »Sie könnten mir einen Tipp geben, wo ich eine Toilette finde.«
    Er wies, sichtlich froh, seine Nützlichkeit unter Beweis stellen zu dürfen, auf einen der marmornen

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