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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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die Anerkennung ihrer Kollegen. Das ist es, was den Nobelpreis so besonders macht: Er stellt das Maximum dessen dar, was einem Wissenschaftler in dieser Welt an Anerkennung zuteil werden kann.« Ihr Blick wanderte zum Fenster, hinter dem das nächtliche Stockholm funkelte. »Das ist die persönliche Seite. Daneben gibt es noch die Seite der Verantwortung, die man trägt. Der Nobelpreis ist der berühmteste, der angesehenste, der bedeutendste Preis der Welt. Er ist einzigartig. In der heutigen Zeit, in der wir keine Denkmäler mehr errichten, schafft er Helden, schafft Vorbilder, spornt andere, jüngere an, Höchstleistungen zu erbringen. Der Nobelpreis ist Ausdruck der Überzeugung, dass man etwas erreichen kann, wenn man es will, und dass die Anstrengung sich lohnt. So eine Institution darf man nicht leichtfertig beschädigen.« Sie sah mich wieder an. »Und dann ist da noch der Umstand, dass ich eine Frau bin. Auch das begründet Verantwortung, nämlich allen anderen Frauen gegenüber, die sich in den Naturwissenschaften zu behaupten versuchen. Frauen, die für ihre wissenschaftliche Arbeit oft genug auf Kinder oder sogar einen Ehemann verzichten. In seinen ersten hundert Jahren wurde der Nobelpreis an 690 Männer verliehen, aber nur an 29 Frauen, davon gerade mal an 6 für Leistungen in meinem Gebiet, der Medizin und Physiologie. Wenn nun ausgerechnet ich der erste Preisträger in der Geschichte des Preises wäre, der die Verleihungszeremonie sprengt – was glauben Sie, wie lange es dauern würde, bis man es wieder wagt, den Preis einem dieser emotionalen, unberechenbaren Geschöpfe zuzuerkennen, einer Frau? «
    Ich fühlte, wie etwas in mir dabei war, zu zerbrechen. Eine letzte Hoffnung, glaube ich. Der letzte Faden jedenfalls, der mich noch in dieser Welt hielt.
    »Ich will das nicht glauben«, sagte ich mühsam. »Ich will nicht glauben, dass Sie einen Preis annehmen werden, an dem Blut klebt.«
    Sie sah mich an, lange, schweigend, durchdringend. »Da haben Sie auch wieder Recht«, stimmte sie schließlich zu.
    »Das könnte ich tatsächlich nicht tun. Nicht, wenn auch nur der Hauch einer Möglichkeit besteht, dass es stimmt, was Sie sagen.«
    Sie bat mich, auf dem Sofa Platz zu nehmen, holte einen dicken gelben Schreibblock und einen Kugelschreiber aus dem Schreibtisch und forderte mich auf, alles noch einmal zu erzählen. Während ich das tat, machte sie mit gerunzelter Stirn Notizen, fragte nach, wieder und wieder, wollte jedes Detail wissen. Nach dem dritten oder vierten Durchgang versank sie in Schweigen, blätterte ihre Aufzeichnungen vor und zurück und dachte nach.
    Es war ein Nachdenken, wie es einem selten im Leben begegnet. Ich begriff, dass hier ein rasiermesserscharfer analytischer Verstand ein Problem anging, gegen den mein eigener sich ausnahm wie ein Kindermesser neben einem Samuraischwert. Um die Nobelpreisträgerin herum war auf einmal eine Konzentration spürbar, von der ich immer noch glaube, dass man sie hätte messen können wie ein Magnetfeld.
    Schließlich lehnte sie sich zurück, legte den Block neben sich und den Kugelschreiber darauf.
    »Herr Forsberg«, fragte sie, »haben Sie eigentlich mitbekommen, für welche Entdeckung ich den Nobelpreis bekommen soll?«
    Ich sah sie an, irritiert. »Ich habe einiges gelesen. Aber ich könnte es jetzt nicht in ein paar Sätzen zusammenfassen.«
    »Das könnte ich auch nicht. Doch wenn Sie schon etwas darüber gehört haben, werden Sie wissen, dass ich mich mit der Frage beschäftigt habe, wie unser Gehirn die Umwelt abbildet. Das menschliche Gehirn ist die komplexeste Struktur, die wir kennen, aber da sie ein Teil des Universums ist, kann sie natürlich nicht groß genug sein, um das Universum in seiner Gesamtheit zu erfassen. Die endgültige Wahrheit ist uns also unzugänglich, zumindest in unserer menschlichen Gestalt. Was das Gehirn macht, ist, dass es Modelle der Welt bildet, und was ich untersucht habe, ist, wie diese Modelle auf neurologischer Ebene aussehen. Es sind Komplexe von Neuronen, die über das gesamte Großhirn verteilt sein können, aber dennoch zusammengeschaltet sind, solange eine bestimmte Vorstellung in unserem Bewusstsein ist. Das Bemerkenswerte ist, dass die Anzahl dieser Neuronen stark schwanken kann. Je geringer sie ist, desto simpler, einfacher, vergröberter ist auch die zugehörige Vorstellung – das zugehörige Modell eines Aspekts der Welt, wenn Sie so wollen. Und, ganz wichtig, auch unser Bewusstsein verengt oder

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