Der Nobelpreis
knicksten. Doch eine derartige Geste hätte zu Sofía Hernández Cruz nicht im Entferntesten so gut gepasst wie dieses dezente, fast nur angedeutete Neigen des Kopfes.
»Sie hat dich angelogen«, stieß Hans-Olof hervor. »Sie hat es nicht getan. Jetzt ist alles verloren.«
Er keuchte, schüttelte den Kopf, verfolgte gebannt, wie die Spanierin unter dem anbrandenden, frenetischen Beifall des Publikums zurück auf ihren Platz schritt.
»Weißt du«, sagte ich, »ich kann mich wirklich bloß wundern über dich.«
»Was?« Hans-Olof fuhr herum, sah mich an.
Und blickte in den Lauf seiner eigenen Pistole, die ich mitten auf seine Stirn gerichtet hielt.
KAPITEL 49
»Gunnar …«, würgte Hans-Olof. »Das ist nicht witzig.«
»Mir ist auch nicht nach Witzen zumute.«
»Was ist los? Drehst du jetzt durch?«
Er sah mich an, sah die Pistole an, sah wieder mich an. Es war offensichtlich, dass er nicht wusste, was er von alldem zu halten hatte.
»Findest du nicht«, fragte er schließlich, »dass, wenn hier jemand das Recht hat, durchzudrehen, ich das bin?«
»Ich drehe nicht durch«, erwiderte ich. »Im Gegenteil, ich war in meinem ganzen Leben noch nie so klar im Kopf wie heute.«
»Schön. Dann erinnere dich bitte wieder daran, dass ich dein Schwager bin, und tu die Pistole weg.«
Ich rührte mich keinen Millimeter. »Ich erinnere mich an mehr, als du denkst. Genau deshalb kann es sein, dass ich dich gleich erschießen muss.«
»Gunnar, bitte …« Hans-Olof hatte immer noch nicht begriffen. Sein Tonfall war immer noch der eines Mannes, der es mit einem Irren zu tun hat. »Wir können über alles reden. Es gibt keinen Grund, irgendjemanden zu erschießen.«
Ich lehnte mich zurück, senkte die Hand mit der Waffe, die auf die Dauer einfach zu schwer war, ließ den Lauf aber auf ihn gerichtet.
»Gut, reden wir«, sagte ich und nickte zum Fernseher hin.
»Sag mir eins: Hast du im Ernst erwartet, Sofía Hernández würde den Nobelpreis ablehnen?«
Hans-Olof musterte mich, wusste nicht, was ich für eine Antwort erwartete, schluckte. »Sagen wir, ich habe es einen Moment lang gehofft.«
»Weißt du, warum sie es nicht getan hat?«
»Nein.«
»Sie hat es nicht getan, weil ich ihre letzte Frage nicht zu ihrer Zufriedenheit beantworten konnte.«
Seine Augen weiteten sich. »Was?«
»Ich konnte ihre Frage nicht einmal zu meiner eigenen Zufriedenheit beantworten. Genau genommen«, sagte ich, »konnte ich sie überhaupt nicht beantworten.« Ich sah kurz auf den Schirm. Das Orchester spielte irgendetwas Klassisches, und die Kamera zeigte das Gesicht von Sofía Hernández Cruz, das nun doch von Gefühlen überwältigt wurde. Sie lächelte jemandem im Publikum zu, und ihre Augen glänzten feucht.
»Diese Frau verdient den Nobelpreis, wenn ihn irgendjemand verdient. Sie hat ein paar Minuten nachgedacht und dann genau die eine Frage gestellt, die ich mir schon seit zwei Wochen hätte stellen sollen, auf die ich aber einfach nicht gekommen bin. Die eine Frage, die alles zerlegt, was ich geglaubt habe, und es neu zusammensetzt.«
»Was denn für eine Frage?«
»Sie hat mich gefragt: ›Haben Sie einen Beweis dafür gesehen, dass Kristina tatsächlich entführt wurde?‹«
Hans-Olofs Gesicht zuckte. Er hob die Hand vor den Mund, hustete heftig. »Was soll denn das heißen? Was für einen Beweis? Was will sie denn, dass man da beweisen soll?«
»Interessant, nicht wahr? Geradezu unheimlich. Sie hat mir eine Frage gestellt, die dadurch, dass ich sie nicht beantworten konnte, auf einmal zu einer Antwort wurde auf ganz viele andere Fragen. Zum Beispiel auf die Frage, wieso auf einmal Polizei aufgetaucht ist, als ich im Büro von Rütlipharm war. An deren Alarmanlage kann es nicht gelegen haben, die war lachhaft. Und dass mich jemand aus einem der benachbarten Hochhäuser gesehen haben soll, glaube ich einfach nicht. Erstens habe ich aufgepasst, schließlich bin ich nicht ganz unerfahren in solchen Dingen, und zweitens spiegelt das Glas dazu viel zu stark, auch bei Nacht.«
»Das weiß ich auch nicht. Ich kenne mich mit so etwas nicht aus.«
»Bei genauerem Nachdenken«, fuhr ich finster fort, »stellt man fest, dass genau die Einbrüche schief gegangen sind, von denen du gewusst hast.«
»Ich?«, quiekte Hans-Olof. »Was soll denn das heißen?«
»Wenn ich in der Nacht auf Donnerstag nicht verschlafen hätte und zu spät nach Södertälje gekommen wäre, hätte die Polizei, die auf eine ominöse Bombendrohung hin
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