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Der Nobelpreis

Der Nobelpreis

Titel: Der Nobelpreis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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nicht das! Nicht das. Mich ekelte, und der Finger, den ich am Abzug hatte, begann zu zittern.
    »Es war wie eine Spannung, die gewachsen ist, langsam, jeden Tag ein bisschen. Ich habe Kristina angeschaut, aber ich habe Inga gesehen, immer nur Inga. Die Erinnerungen sind wieder gekommen, die Sehnsucht … so stark, dass es mich fast wahnsinnig gemacht hat …« Er keuchte, begann, mit dem Oberkörper vor-und zurückzuschaukeln, begann, schneller zu reden. »Es war Anfang Oktober. Eines Abends, ich … es war schon spät, zehn Uhr vielleicht oder elf, ich weiß es nicht mehr … Kristina war in ihrem Zimmer, ich war in meinem, und es ging mir im Kopf herum, wie ein Fieber, immer wieder diese Bilder, von damals und von Kristina … wie sie aus dem Badezimmer über den Flur geht, einfach so, ohne etwas an, und aussieht wie Inga … ich war schon im Schlafanzug, und dann, ich weiß nicht mehr, wie … Auf einmal war ich im Flur und bin zu Kristinas Zimmer gegangen …«
    Er keuchte. Würgte. Schluchzte.
    Ich musste die Pistole herunternehmen, weil mein Arm nachgab.
    »Ich gebe es zu«, stieß Hans-Olof explosionsartig hervor.
    »Ich wollte Sex mit ihr. Mit meiner eigenen Tochter. Ich war in dem Moment entschlossen, sie notfalls zu zwingen, kannst du dir das vorstellen? Ich hatte nur diesen Gedanken im Kopf, nur diesen … Drang … Mir war alles egal! Was aus mir würde, was aus ihr würde … Ich war erregt. Sie ist meine Tochter, sagte ich mir. Sie gehört mir, was ist schon dabei, wahrscheinlich will sie es sowieso schon lange … Es heißt doch, alle Töchter wollen mit ihren Vätern schlafen …«
    Er hielt inne, vergrub die verkrampften Hände im Schoß, kippte den Oberkörper langsam vornüber. »Ich ging in ihr Zimmer«, sagte er.
    Ich sah ihn an, spürte, wie das Eis mein Herz umschloss.
    »Ich ging in ihr Zimmer«, wiederholte er. »Sie lag schon im Bett. Das Licht auf ihrem Nachttisch war an. Sie hat gelesen. Ich habe irgendwas gesagt, ich weiß nicht mehr, was. Ich bin an ihr Bett gegangen, habe die Bettdecke hochgehoben …«
    Er schwieg, die Augen geschlossen. Schwieg und schwieg.
    »Und dann?«, fragte ich.
    Er öffnete die Augen nicht. »Sie hat mir derart zwischen die Beine getreten, dass ich bis zum Kleiderschrank geflogen bin. Sie hat mich angeschrien. ›Das machst du nie wieder!‹, hat sie gebrüllt, während ich dagelegen und nach Luft geschnappt habe. Sobald ich wieder aufstehen konnte, habe ich mich hinausgeschleppt, und sie hat hinter mir abgeschlossen.« Er holte pfeifend Atem. »Und am nächsten Tag war sie verschwunden. Spurlos. Nur eine Reisetasche fehlte, ihr Sparbuch und ein paar von ihren Kleidern, sonst nichts.«
    Er richtete sich wieder auf, starrte ins Leere, redete ins Leere.
    »Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ich habe Kristina erst einmal in der Schule krankgemeldet und gehofft, dass sie vernünftig wird und zurückkommt. Dann habe ich den Zettel entdeckt, den sie mir hingelegt hatte.« Er holte seine Geldbörse hervor und entnahm ihr ein zusammengefaltetes Blatt, das offensichtlich vom Notizblock aus der Küche stammte. Er faltete es auf und reichte es mir.
    Ich komme nicht zurück. Wenn du mich suchst, erzähl ich alles der Polizei. K. Es war Kristinas Handschrift, soweit ich sie noch kannte.
    »Ich konnte doch unmöglich jemandem sagen, was passiert war. Wenn die Schule erfahren hätte, dass Kristina davongelaufen ist, hätte man mich gefragt, warum. Man hätte sie gesucht und gefunden, und alles wäre herausgekommen. Also habe ich gelogen. Ich wollte meine Stelle nicht verlieren, mein Ansehen, nur wegen einem einzigen schwachen Moment … Ich habe gelogen, immer weiter. Mit dem Morbus Hodgkin wollte ich mir für ein paar Monate Luft verschaffen, damit ich mir etwas überlegen konnte. Ich habe Aimée gekündigt, die auch nur Fragen gestellt hätte. Ich habe mich über Privatdetektive informiert, um wenigstens herauszufinden, wo Kristina war, und sicher zu sein, dass es ihr gut ging. Ich habe mich erkundigt, wie ich aus Stockholm wegziehen kann, ohne dass jemand etwas merkt, ohne dass die Schule nachfragt … Und gerade als ich dabei war, alles einigermaßen zu arrangieren, kam der Brief.«
    Die Worte kamen immer schneller, so, als sei in seinem Inneren ein Damm gebrochen. »Ich hatte überhaupt nicht mehr an dich gedacht. Du warst im Gefängnis weit weg, ich war sicher vor dir. Nachdem du mich damals an Ingas Grab fast erwürgt hast, habe ich versucht, dich aus meiner und

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