Der Nobelpreis
vergewisserte Hans-Olof sich mit Gänsehaut am ganzen Leib.
»Ich brauche keine Angst zu haben.« Sie verfiel in einen so eigentümlichen Singsang, dass er zum ersten Mal argwöhnte, sie könne unter Drogen stehen. »Wenn die Polizei uns findet, müssen wir alle sterben, aber die Männer haben gesagt, dass sie mich beschützen.«
»Was?«, rief Hans-Olof aus. »Kristina, das ist Unsinn! Du brauchst doch keine Angst vor der Polizei zu haben; die wird –«
Aber da war schon, wie jedes Mal, die halskranke Stimme, die nur Englisch sprach. Immer dieselben Worte. »Genug für heute, Professor Andersson. Wir melden uns wieder.« Und dann war die Leitung tot.
Hans-Olof legte den Hörer so behutsam auf, als sei er aus Porzellan. Das alles durfte nicht mehr lange so weitergehen. Es musste etwas geschehen. Und es musste bald geschehen.
KAPITEL 15
Am nächsten Morgen saß Hans-Olof an seinem Schreibtisch wie jeden Tag, aber er konnte die ganze Zeit nur die Uhr anstarren und darauf warten, dass es zehn wurde. Alles, was er sonst zuwege brachte, war, einige geeignete Telefonnummern aus dem Verzeichnis herauszusuchen und auf einen Zettel zu schreiben. Den steckte er griffbereit in die Jackentasche, vergewisserte sich mehrmals, dass er nicht daraus verschwunden war, schichtete sinnlos ein paar der Aktenberge auf seinem Schreibtisch um, und um zwanzig Minuten nach neun, viel zu früh, brach er auf.
Die Cafeteria war relativ neu eingerichtet worden und strahlte kühle Sauberkeit aus. Er holte sich einen Kaffee am Automaten, bezahlte an der Kasse und musterte dabei das Telefon, das an der weiß gekachelten Wand dahinter hing. Einer plötzlichen Eingebung folgend, fragte er: »Habe ich neulich mit Ihnen gesprochen?«
Die Kassiererin, eine ältliche Frau mit rotgeäderten Wangen im weißen Kittel, blickte ihn wie zu erwarten irritiert an.
»Professor Hans-Olof Andersson«, fuhr er fort. »Ich bin der, der letzte Woche diesen überraschenden Besuch einer Delegation aus Japan bekommen hat.« Mit Ausnahme seines Namens war daran kein Wort wahr. Aber nur auf den Namen kam es ihm an.
»Mit mir haben Sie jedenfalls nicht gesprochen«, erwiderte die Frau kopfschüttelnd. »Wieso, war etwas nicht in Ordnung? Soll ich nachfragen, wer …?«
Hans-Olof winkte ab. »Nein, nein, es war alles bestens. Ich wollte mich nur dafür bedanken, dass Sie und Ihre Kolleginnen so schnell reagiert haben.« Er lächelte, gewinnend, wie er hoffte. »Sagen Sie den anderen einfach einen schönen Gruß von mir.«
Sie erwiderte das Lächeln behutsam. »Wie war noch mal Ihr Name?«
»Andersson. Hans-Olof Andersson«, wiederholte Hans-Olof. Das würde sie nicht so schnell vergessen. Er nahm seine Tasse und setzte sich an einen Tisch, an dem ihn die Kassiererin ständig im Blick hatte. Die große Uhr an der Wand zeigte Viertel vor zehn.
Er widerstand dem Impuls, den Kaffee hinunterzustürzen. Das machte den Zeiger auch nicht schneller. Im Gegenteil, es musste so aussehen, als habe er alle Zeit der Welt.
Zehn vor zehn war die Tasse trotzdem schon leer. Er tastete nach dem Zettel mit den Nummern. Immer noch da, wo er hingehörte.
Fünf vor zehn beschloss er, sich noch einen Kaffee zu holen. Er stand auf, vergewisserte sich, dass die Kassiererin ihn dabei sah und dass sie kapierte, dass er nicht etwa die Cafeteria verließ, sondern nur ein zweites Mal zum Automaten ging. Als er mit der aufgefüllten Tasse zum Bezahlen kam, sprang der Zeiger der Uhr gerade mit vernehmlichem Klacken auf vier vor zehn.
»Ich finde es nett, dass Sie sich bedankt haben«, sagte die Kassiererin. »Die meisten nehmen alles als selbstverständlich, was wir machen.«
Das ebenso unerwartete wie unverdiente Lob machte Hans-Olof regelrecht ein schlechtes Gewissen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte auch er die Dienstleistungen der Cafeteria als selbstverständlich hingenommen und sich keine weiteren Gedanken gemacht. »Nun ja«, erwiderte er verlegen. »Sie wissen ja, was man so über Professoren sagt. Schweben immer in anderen Sphären, nicht wahr?«
»Das stimmt aber auch«, nickte die Frau resolut.
In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Hans-Olof zuckte so heftig zusammen, dass ein großer Schwall Kaffee auf dem hellgrauen Noppenboden landete. »Oh, verd–!«, entfuhr es ihm. Das wurde allmählich zur Gewohnheit!
»Lassen Sie nur, Professor, ich putze das gleich weg. Holen Sie sich einfach eine neue Tasse.«
Das Telefon klingelte zum zweiten Mal. »Aber …«, stammelte
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