Der Nobelpreis
anvertrauen zu können. Zwischendurch kam das Essen, aber sie ließen es beide stehen und kalt werden, weil unter diesen Umständen keiner von ihnen einen Bissen herunterbekam.
Nachdem Hans-Olof fertig war, regelrecht ausgeleert, griff Nilsson doch endlich nach einer Gabel und pickte damit ein wenig in seinem Zander herum. »Ich vermute so etwas in diese Richtung schon lange«, erklärte er nachdenklich. »Seit Monaten bin ich hinter Abrechnungen, Überweisungen, Steuererklärungen und so weiter her. Follow the money, wie es so schön heißt. Die Bilanzen der zehn größten Pharmaunternehmen kann ich auswendig herbeten, wenn es sein muss. Aber dass sie so weit gehen würden, das überrascht mich, ehrlich gesagt.«
Hans-Olof starrte blicklos vor sich hin. »Und mich erst.«
»Das heißt, Ihre Tochter ist jetzt wie lange weg? Seit Anfang Oktober? Das sind über vier Wochen.«
»Fast fünf.«
»Das ist viel Zeit für eine Vierzehnjährige. Mein Gott, wie furchtbar!«
Hans-Olof versuchte, die Benommenheit abzuschütteln, in die er sich mit seinem atemlosen Bericht hineingeredet hatte.
»Sie werden mir also helfen?«
»Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht.« Nilsson griff nach seinem Bier und stürzte es in einem Zug hinunter, das ganze Glas. Danach wischte er sich den Mund ab und bedeutete der vorbeieilenden Kellnerin, ihm noch eines zu bringen. »Aber wie viel das ist, weiß ich offen gestanden nicht. Nicht mehr. Wenn Sie mich damals gefragt hätten, am Tag der Bekanntgabe, ich hätte Ihnen eine flammende Rede gehalten, kämpferisch, idealistisch, naiv. Aber in den letzten Wochen habe ich Dinge erfahren müssen …« Er brach ab, betrachtete seine Fingernägel.
»Dinge?«, fragte Hans-Olof. »Was für Dinge?«
Der Journalist sah auf. »Haben Sie eine Vorstellung von dem wirtschaftlichen Schaden, den Korruption weltweit anrichtet? Über fünfhundert Milliarden Dollar im Jahr, vorsichtig geschätzt. Das ist fast der Umfang des globalen Drogenhandels. Das ist mehr als die Hälfte der jährlichen weltweiten Militärausgaben. Und Korruption – das ist nichts, was sich nur in irgendwelchen Bananenrepubliken und afrikanischen Diktaturen abspielt. Dort ist es nur offensichtlicher. Doch die haben nicht viel, also entsteht nicht viel Schaden. Die Korruption, die wirklich zählt, die wirklich wehtut, die spielt sich hier ab, in der ›ersten‹ Welt. In Japan. In Nordamerika. In Europa.«
Er warf einen finsteren Blick über die anderen Gäste. »Schweden nicht ausgenommen.«
Hans-Olof musterte seinen Gesprächspartner irritiert. »Mich interessiert nur meine Tochter. Sonst nichts.«
»Ja, das ist mir schon klar. Aber es hängt damit zusammen, verstehen Sie? Die Entführung Ihrer Tochter ist substantiell nichts anderes als eine Bestechung – der Versuch, Sie zu korrumpieren. Davon leitet sich das Wort Korruption ab, nicht wahr? Man hat Sie korrumpiert, Professor. Nicht mit Geld, sondern auf andere, ungewöhnlichere Weise, aber man hat Erfolg gehabt.« Die Hand Nilssons zerknüllte die mit astrologischen Symbolen bedruckte Papierserviette. »Das heißt, noch ist so eine Vorgehensweise ungewöhnlich, doch ich fürchte, das wird nicht mehr lange so sein. Im Verlauf der letzten Jahrzehnte sind einige unfassbar große Vermögen entstanden, und diejenigen, die sie kontrollieren, betrachten sich in zunehmendem Maße als außerhalb der Gesetze stehend. Dass sie alles kaufen können – Wahlstimmen, Sonderbehandlung, Einfluss, Beliebtheit, Abgeschiedenheit, was auch immer –, das ist längst selbstverständlich für sie. Ich glaube, sie sind gerade im Begriff, auch die letzten Grenzen, die ihnen noch gesetzt waren, in Frage zu stellen.«
»Aber dafür gibt es doch Zeitungen!«, stieß Hans-Olof hervor. Er schob seinen kaum angerührten Teller beiseite. »Ist es nicht die Funktion der Medien, solche Missstände ins Bewusstsein der Allgemeinheit zu rücken? Schreiben Sie einen Artikel! Prangern Sie die Machenschaften von Rütlipharm an! Rufen Sie einen Skandal hervor, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat!«
Bengt Nilsson nickte sinnend, und es hätte beinahe ermutigend ausgesehen, wäre sein Gesicht dabei nicht so grau gewesen. »Das ist nicht so einfach«, sagte er langsam, fast qualvoll.
»Natürlich nicht. Wenn es einfach wäre, könnte ich es selber machen.«
»Nein, Sie verstehen nicht. Diese Leute, von denen ich gerade gesprochen habe – die kaufen natürlich auch Zeitungen. Die kaufen in letzter Zeit
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