Der Nobelpreis
warum?«
Östlund hob die Brauen und betrachtete mich herablassend, beinahe mitleidig. »Erstens«, sagte er, »haben wir allenfalls Mitbewerber, aber keine Konkurrenz. Und zweitens: Ja. Man weiß.«
»Und was weiß man?«
»Bengt Nilsson war einer, der hoch hinaus wollte. Ehrgeizig bis zum Anschlag. Dummerweise hatte er es mit dem Herzen, und dummerweise hatte er es nicht mit der Pünktlichkeit. Wenn du mich fragst, hat er schlicht und einfach vergessen, seine Medikamente zu nehmen. Das hat ihn vor ein paar Jahren schon einmal fast umgebracht, aber manche Leute lernen eben nichts aus ihren Fehlern.«
»Und wenn ich jemand anders frage? Was kann der für eine Theorie haben?«
Das brachte einen deutlich genervten Ausdruck in sein Gesicht. »Bitte, dies ist ein freies Land. Angeblich jedenfalls. Aber nach allem, was ich gehört habe, hatte Nilsson ein kleines orangenes Pillendöschen mit kleinen weißen Pillen darin in der Tasche, und dummerweise waren die Fächer für die beiden vorangegangenen Tage noch voll. Ich schätze, es gibt dankbarere Ansätze für Verschwörungstheorien.«
Ich klemmte die Mappe unter den Arm. »Hat mich nur interessiert.«
»Gern geschehen. Kleine Dreingabe auf Kosten des Hauses. Ich hoffe, du weißt das zu schätzen.«
»Klar doch«, sagte ich und ging.
Draußen fiel mich die Kälte wieder an wie ein Raubtier, und ich spürte ein Kratzen im Hals, das nichts Gutes ahnen ließ. Ich ging in die nächste Apotheke und kaufte ein paar Vitamintabletten und eine Salbe zum Einreiben. Und weil ich schon dabei war, fragte ich: »Es muss da ein Herzmittel geben, kleine weiße Pillen, zu denen man ein orangenes Döschen mit Fächern für die Wochentage bekommt. Haben Sie eine Ahnung, was das sein könnte?«
Die Apothekerin, eine magere Frau mit dunklen Ringen unter den Augen, runzelte die Stirn. »Das dürfte RP Cardioprolol sein. Wenn es ein Herzmittel ist; es gibt noch ein gebräuchliches Asthmamittel, auf das diese Beschreibung auch zuträfe.«
»Können Sie mir mal die Packungen zeigen?«
»Die sind aber beide verschreibungspflichtig. Die kann ich Ihnen nicht verkaufen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, ich frage nur, weil mein Vater so ein Geheimnis darum macht, was für ein Mittel er nimmt. Er ist da ein bisschen seltsam, verstehen Sie? Ich wüsste einfach gern Bescheid. Für alle Fälle.«
Sie nickte verstehend und holte zwei Schachteln aus ihren Schubladen. »Es gilt als das am besten verträgliche Mittel dieser Art«, erläuterte sie, als sie mir das RP Cardioprolol hinlegte, »aber man muss es äußerst pünktlich einnehmen. Für vergessliche ältere Leute ist es nicht das Richtige.«
»Oh, nach meinem Vater können Sie die Uhr stellen, das ist kein Problem«, log ich mit beschwingter Mühelosigkeit, nahm die Packung in die Hand und drehte sie so, dass ich den Namen des Herstellers lesen konnte.
Rütlipharm AG, CH-4001 Basel stand da. Irgendwie überraschte es mich nicht besonders.
KAPITEL 20
Die erste Pflicht des Einbrechers ist es, das Terrain zu kennen, in dem er zu arbeiten gedenkt. Also machte ich mich auf den Weg zu den Hochhäusern an der Sergelgatan, kaufte mir unterwegs ein billiges kleines Notizbuch, suchte und fand das High Tech Building und in der Passage gegenüber des gläsernen Empfangs, den Hans-Olof mir beschrieben hatte, das Coffeehouse. Dort reichte meine schwindende Barschaft noch für eine Tasse Kaffee und ein Brownie, mit denen ich Posten bezog, um erst einmal die Umgebung auf mich wirken zu lassen.
Der Kaffee schmeckte fad, wärmte aber und roch gut. Der Kuchen war weg, ehe ich merkte, dass ich aß; ich hatte offenbar mehr Hunger gehabt, als mir bewusst gewesen war. Es tat gut, zu sitzen, schwer zu werden und zu spüren, dass die alten Reflexe und Instinkte noch da waren, als wären nicht sechs endlose Jahre vergangen, seit ich sie das letzte Mal gebraucht hatte.
Wirtschaftsspionage ist ein Gebiet, das eine mindestens so lange und ehrwürdige Tradition aufweisen kann wie sein militärisches Gegenstück. Das Geheimnis der Papierherstellung etwa wurde von den Chinesen sechs Jahrhunderte lang erfolgreich gehütet, bis die Bewohner Samarkands es um das Jahr 750 auf dem Wege der Spionage lüfteten. Überhaupt China: Die Welt hätte heute noch keine Ahnung, wie Seide hergestellt wird, hätten nicht einst listenreiche Erkunder das Geheimnis ihrer Herstellung samt der dazu erforderlichen Seidenraupen aus dem Reich der Mitte
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